Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
mein Merkzeichen, welchem ich entnehme, daß wir, wenn wir so langsam wie jetzt weiterreiten, in einer Stunde beim Estrecho ankommen werden.«
Die Männer richteten infolge dieser Worte ihre Blicke auf den Baum, und einer von ihnen, welcher sehr scharfe Augen hatte, meinte:
»Ich sehe außer dem Baum noch etwas, Majestät. Wenn ich mich nicht irre, liegt ein Tier darunter. Es kann auch ein Mensch sein.«
»Hm! Ein einzelner Mensch hier, in dieser entlegenen und doch so gefährlichen Gegend? Sollte es etwa gar ein Gambusino sein, der von der Bonanza gehört hat und hier nach Gold sucht? Den wollen wir uns ja scharf betrachten!«
Schon nach kurzer Zeit sahen sie, daß es allerdings kein Tier sondern ein Mensch war, welcher lang ausgestreckt unter dem Baume lag und zu schlafen schien. Um ihn zu überraschen, stieg der Anführer mit noch einigen seiner Begleiter von dem Pferde und ging mit ihnen leise voran, während die andern langsam nachgeritten kamen.
Der Mann unter dem Baum mußte fest schlafen, denn er hörte die sich Nähernden nicht, die ihn sogleich umringten, als sie den Baum erreichten. Ein Stück Leder, das er wie einen Beutel zusammengefaltet hatte, steckte in seinem Gürtel, aber nicht ganz; der obere Teil desselben blickte daraus hervor; er war ein wenig auseinander gegangen und ließ die Augen der Weißen auf ein mehr als haselnußgroßes Stück gediegenen Goldes fallen.
» Tempestad! « entfuhr es den Lippen des Anführers. »Der Mann hat Nuggets! Er ist ein Halbfarbiger, wahrscheinlich ein Mestize. Nuggets! Hier in der Nähe des Estrecho! Sollte –?! Dem müssen wir sofort auf die Zähne fühlen!«
Jetzt kamen die Männer zu Pferde heran. Das Hufgetrappel weckte den Schläfer. Er schlug die Augen auf, sah die Weißen und sprang ganz erschrocken in die Höhe. Wie unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach dem Gürtel; er fühlte, daß der Beutel sich ein Stück hervorgeschoben hatte, und stopfte ihn so ängstlich schnell und hastig zurück, daß man Verdacht fassen mußte, auch wenn man das Gold nicht gesehen hatte. Es war natürlich kein andrer als Ik Senanda, welcher seine Rolle ausgezeichnet spielte. Er hatte hier auf die Weißen gewartet, sie schon von weitem kommen sehen und sich nur so gestellt, als ob er eingeschlafen sei. Der Beutel war mit Absicht von ihm in eine Lage gebracht worden, daß er aufklaffte. Die Aufmerksamkeit der Bleichgesichter sollte ja gleich auf den Umstand gerichtet werden, daß er Gold besaß. Sie gingen auch schnell und ohne alles Mißtrauen in das ihnen vorgehaltene Netz; ihr Führer fragte in strengem Tone:
»Darf man vielleicht fragen, wer Ihr seid, halbroter Boy?«
»Ich heiße Yato Inda,« antwortete der Gefragte. Er gab sich also den vertrauenerweckenden Namen, den er sich schon im Firwood-Camp beigelegt hatte.
»Yato Inda? Das heißt guter Mann, wenn ich mich nicht irre. Wer war Euer Vater?«
»Ein weißer Jäger.«
»Und Eure Mutter?«
»Eine Tochter der Apatschen.«
»Da stimmt der Name. Zu welchem Zweck treibt Ihr Euch denn hier in dieser Gegend herum, die den Komantschen gehört und wo es gar keine Apatschen gibt?«
»Mein Stamm will mich nicht mehr dulden.«
»Weshalb?«
»Weil ich ein Freund der Bleichgesichter bin.«
»Hm! Ihr seid also ein Ausgestoßener? Auch das stimmt, denn Ihr habt nur ein Messer; man hat Euch also das Gewehr genommen.«
»Yato Inda wird zu den Bleichgesichtern gehen und sich dort ein Gewehr kaufen.«
»So! Daß die Roten Euch ausgestoßen haben, ist ein Umstand, der Euch uns empfiehlt; aber wenn Ihr Euch ein Gewehr kaufen wollt, müßt Ihr doch Geld haben?«
»Yato Inda braucht kein Geld.«
»Nicht? Glaubt Ihr, daß man Euch ein Gewehr schenken wird?«
»Nein. Die Bleichgesichter verschenken nichts; aber sie sind auch zufrieden, wenn sie für Gewehre und Feuerwasser nicht rundes Geld, sondern goldene Nuggets bekommen.«
»Ah, Feuerwasser! Du scheinst das wohl sehr gern zu trinken?«
»Sehr!« antwortete der Mestize in dem aufrichtigsten und unbefangensten Tone, den es geben kann.
»So habt Ihr also zwar kein rundes Geld, aber dafür goldene Nuggets?«
»Yato Inda hat keine, aber er wird so lange suchen, bis er welche findet.«
»Das klingt doch grade, als ob Ihr nach der berühmten Bonanza of Hoaka suchtet!«
Majestät glaubte, das sehr pfiffig gesagt zu haben; der noch schlauere Mestize ließ ihn bei dieser Meinung und erwiderte, indem er ein dummstolzes Gesicht dabei zeigte:
»Hat mein weißer Bruder auch
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