Sämtliche Werke
mit dem Schloß, keine Zentralstelle, welche unsere Anrufe weiterleitet; wenn man von hier aus im Schloß anruft, läutet es dort bei allen Apparaten der untersten Abteilungen oder vielmehr, es würde bei allen läuten, wenn nicht, wie ich bestimmt weiß, bei fast allen dieses Läutewerk abgestellt wäre. Hier und da aber hat ein übermüdeter Beamter das Bedürfnis, sich ein wenig zu zerstreuen, besonders am Abend oder bei Nacht, und schaltet das Läutewerk ein; dann bekommen wir Antwort, allerdings eine Antwort, die nichts ist als Scherz. Es ist das ja auch sehr verständlich. Wer darf denn Anspruch erheben, wegen seiner privaten kleinen Sorgen mitten in die wichtigsten und immer rasend vor sich gehenden Arbeiten hineinzuläuten? Ich begreife auch nicht, wie selbst ein Fremder glauben kann, daß, wenn er zum Beispiel Sordini anruft, es auch wirklich Sordini ist, der ihm antwortet. Vielmehr ist es wahrscheinlich ein kleiner Registrator einer ganz anderen Abteilung. Dagegen kann es allerdings in auserlesener Stunde geschehen, daß, wenn man den kleinen Registrator anruft, Sordini selbst die Antwort gibt. Dann freilich ist es besser, man läuft vom Telefon weg, ehe der erste Laut zu hören ist.«
»So habe ich das allerdings nicht angesehen«, sagte K., »diese Einzelheiten konnte ich nicht wissen; viel Vertrauen hatte ich zu diesen telefonischen Gesprächen nicht und war mir immer bewußt, daß nur das wirkliche Bedeutung hat, was man geradezu im Schloß erfährt oder erreicht.«
»Nein«, sagte der Vorsteher, an einem Wort sich festhaltend, »wirkliche Bedeutung kommt diesen telefonischen Antworten durchaus zu, wie denn nicht? Wie sollte eine Auskunft, die ein Beamter aus dem Schloß gibt, bedeutungslos sein? Ich sagte es schon gelegentlich des Klammschen Briefes; alle diese Äußerungen haben keine amtliche Bedeutung; wenn Sie ihnen amtliche Bedeutung zuschreiben, gehen Sie in die Irre; dagegen ist ihre private Bedeutung in freundschaftlichem oder feindseligem Sinne sehr groß, meist größer, als eine amtliche Bedeutung jemals sein könnte.«
»Gut«, sagte K., »angenommen, daß sich alles so verhält, dann hätte ich also eine Menge guter Freunde im Schloß; genau besehen, war schon damals vor vielen Jahren der Einfall jener Abteilung, man könnte einmal einen Landvermesser kommen lassen, ein Freundschaftsakt mir gegenüber, und in der Folgezeit reihte sich dann einer an den anderen, bis ich dann, allerdings zu bösem Ende, hergelockt wurde und man mir mit dem Hinauswurf droht.«
»Es ist eine gewisse Wahrheit in Ihrer Auffassung«, sagte der Vorsteher, »Sie haben darin recht, daß man die Äußerungen des Schlosses nicht wortwörtlich hinnehmen darf. Aber Vorsicht ist doch überall nötig, nicht nur hier, und desto nötiger, je wichtiger die Äußerung ist, um die es sich handelt. Was Sie dann aber vom Herlocken sagten, ist mir unbegreiflich. Wären Sie meinen Ausführungen besser gefolgt, dann müßten Sie doch wissen, daß die Frage Ihrer Hierherberufung viel zu schwierig ist, als daß wir sie hier im Laufe einer kleinen Unterhaltung beantworten könnten.«
»So bleibt dann das Ergebnis«, sagte K., »daß alles sehr unklar und unlösbar ist, bis auf den Hinauswurf.«
»Wer wollte wagen, Sie hinauszuwerfen, Herr Landvermesser?« sagte der Vorsteher »Eben die Unklarheit der Vorfragen verbürgt Ihnen die höflichste Behandlung, nur sind Sie dem Anschein nach zu empfindlich. Niemand hält Sie hier zurück, aber das ist doch kein Hinauswurf.«
»Oh, Herr Vorsteher«, sagte K., »nun sind wieder Sie es, der manches allzu klar sieht. Ich werde Ihnen einiges davon aufzählen, was mich hier zurückhält: die Opfer, die ich brachte, um von zu Hause fortzukommen, die lange, schwere Reise, die begründeten Hoffnungen, die ich mir wegen der Aufnahme hier machte, meine vollständige Vermögenslosigkeit, die Unmöglichkeit, jetzt wieder eine andere entsprechende Arbeit zu Hause zu finden, und endlich, nicht zum wenigsten, meine Braut, die eine Hiesige ist.«
»Ach, Frieda«, sagte der Vorsteher ohne jede Überraschung. »Ich weiß. Aber Frieda würde Ihnen überallhin folgen. Was freilich das übrige betrifft, so sind hier allerdings gewisse Erwägungen nötig, und ich werde darüber im Schloß berichten. Sollte eine Entscheidung kommen oder sollte es vorher nötig werden, Sie noch einmal zu verhören, werde ich Sie holen lassen. Sind Sie damit einverstanden?«
»Nein, gar nicht«, sagte K., »ich will keine
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