Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
1. Alex
Au Revoir, New York
Vor meinem Fenster glitzert die Skyline von New York und ein laues Sommerlüftchen weht vom East River bis in mein Zimmer im zweiten Stock hoch. Meine Mom ruft mich von der Treppe aus, aber ich kann mich einfach noch nicht von dem Blick auf meine Stadt losreißen, die hell strahlend vor mir liegt, und doch mischt sich schon Wehmut mit hinein, dass der Sommer sich langsam dem Ende zuneigt.
Draußen auf der Straße hupt es. Ich schüttle mich aus meiner Trance und schaue mich ein letztes Mal im Zimmer um. Habe ich auch wirklich nichts vergessen, was noch in meine Vuitton-Duffle-Bags sollte? Auf einmal fällt mir doch noch etwas ein und ich knie mich vor meine unterste Schreibtischschublade.
Ganz hinten liegen meine gesammelten Briefe von Jeremy, die Demo-Bänder, ja sogar ein altes rotes Taschentuch, das er immer bei sich hatte, um sich nach seinen Rockkonzerten übers Gesicht zu wischen. Wenn er im Scheinwerferlicht gespielt hat, war er jedes Mal völlig verschwitzt.
Da liegen noch andere Sachen, die ich schon seit Jahren nicht mehr angeschaut habe, aber vielleicht möchte ich sie irgendwann doch bei mir haben und bin dann ganz weit weg - nein, das kann ich nicht riskieren! »Was Alex will« zum Beispiel - was, wenn ich mir die CD anhören möchte, die er mir gebrannt hat, ein Mix aus Rohschnitten, die er mit Garage Band gemacht hat, gemischt mit lauter alten ironischen Songs, von denen er wusste, dass ich sie mag. Sogar der Titel des Mixes bezieht sich auf einen alten Scherz zwischen uns. Ich hatte ihm wochenlang in den Ohren gelegen, dass er mir ein paar seiner Sachen brennen soll, und am letzten Tag seines zweiten Jahres an der Brooklyn Prep hat er mir dann die CD gegeben.
»Tja, als ob es so einfach wäre, herauszufinden, was Alex will«, witzelte er mit ernstem Gesicht.
Ich werfe einen Blick auf den Kalender neben dem Fenster, auf dem jeden Monat ein besonders schönes Foto einer Pariser Straßenszene zu sehen ist. Im September sind es ein Mann und eine Frau, die die Beine über das Seine-Ufer baumeln lassen. Beide sind barfüßig und die Frau sieht einfach hinreißend aus, mit ihren Pumps neben ihr. Der heutige Tag ist mehrfach mit einem Marker umkringelt. Heute ist nämlich der große Tag meiner Flucht, meines Neubeginns!
»Der Wagen ist da!« Meine Mom kommt in den Raum reingeplatzt.
Schnell schiebe ich das Halstuch und die CD in meine Reisetasche, bevor sie es sieht.
»Bist du denn noch nicht abmarschbereit?«
Plötzlich bleibt sie stehen. »Hallihallo!« Auf ihren flammend roten Lippen breitet sich ein Lächeln aus. »Nein, es ist nicht zu übersehen, dass du nur allzu bereit bist für Paris. Dreh dich mal.«
Gehorsam richte ich mich auf und drehe mich vor ihr um die eigene Achse, zeige ihr meine Thakoon-Hose aus Leinen mit der hohen Taille, die ich mit einem blau-weiß gestreiften Tank-Top und meinen hochhackigen roten Lieblingsschuhen kombiniert habe. »Du siehst umwerfend aus«, sagt meine Mom. »Und jetzt komm! Paris wartet nicht - nicht mal auf dich.«
Wir poltern beide die Treppe hinunter und zur Haustür raus. Dabei mühen wir uns außer Atem mit meinen zwei riesigen Reisetaschen ab und haben unsere liebe Not, in den hohen Schuhen nicht hinzufallen, wir müssen beide wahnsinnig lachen. Eine schwarze Limousine steht in unserer ruhigen, von Bäumen gesäumten Brooklyn Heights Street. In der Ferne kann ich die Stimmen von Menschen hören, die im Sonnenuntergang auf der Promenade spazieren gehen, über den Blick auf Downtown Manhattan reden und darüber, wie schön New York doch sei.
Für mich ist New York im Moment allerdings nur die Stadt, die nicht Paris ist. Paris ist nämlich der Ort, der für mich bestimmt ist. Alle Aufs und Abs der letzten Jahre waren nur dazu da, auf Paris hinzuführen, wo alle möglichen großartigen Dinge auf mich warten!
»So, mein Schatz«, unterbricht Mom meine Gedanken. Ich hole tief Luft. Wenn Mom mir jetzt noch sagt, dass sie mich vermissen wird, muss ich weinen. »Zeit zu gehen.« Sie dreht einen der großen Ringe an ihrem Finger herum, eine Angewohnheit von ihr, wenn sie traurig oder nervös ist.
Bei dem Gedanken an meine arme Mom, die in den nächsten neun Monaten ganz allein in diesem großen luftigen Stadthaus umherwandelt, werden meine Louboutins bleischwer. Auf gar keinen Fall kann ich nach Paris, schießt es mir durch den Kopf. Das überlebt meine Mom nie! Wir waren nie auch nur länger als eine Woche getrennt - außer
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