Demolition
1
Explosion! Erschütterung! Die Pforte zum Tresorraum springt auf. Drinnen liegt weithin Geld aufgestapelt, ein leichter Raub, nur noch zusammenzuraffen, fortzuschaffen. Wer ist das? Wer befindet sich im Tresorraum? O Gott! Der Mann ohne Gesicht! Mit festem Blick. Bedrohlich. Stumm. Furchtbar. Fort... fort...
Fort, oder ich werde den Paris Pneumatique Express und das wundervolle Mädchen mit dem blütenzarten Antlitz und der hingebungsvollen Gestalt versäumen. Wenn ich mich beeile, ist es noch nicht zu spät. Aber das am Eingang ist kein Bahnbeamter. O Himmel! Der Mann ohne Gesicht. Mit festem Blick. Bedrohlich. Stumm. Nicht schreien. Aufhören zu schreien...
Aber ich schreie nicht. Ich singe auf einem Podium aus funkelndem Marmor, während die Musik schwillt und die Scheinwerfer lohen. Doch ringsum im Amphitheater ist niemand. Es gleicht einer riesigen düsteren Grube... leer bis auf einen Zuschauer. Stumm. Mit festem Blick. Bedrohlich. Der Mann ohne Gesicht.
Und diesmal war der Schrei laut. Bert Reich erwachte. Er lag still im Hydropathie-Bett, während sein Herzschlag flatterte und seine Augen ihren Blickpunkt gleichgültig auf die Gegenstände rundum im Raum einstellten, die eine Ge ruhsamkeit erzeugen sollten, zu der er sich außerstande fühlte. Wände aus grüner Jade, Licht in der Nachttischlampe in Gestalt eines Mandarins aus Porzellan, dessen Kopf unaufhörlich nickte, wenn man ihn anfaßte, ein Multi-Chronometer, das die Uhrzeiten von drei Planeten und sechs Monden anzeigte, das Bett ein Kristallbecken voller mit Kohlensäure angereichertem Glyzerin von genau 37,7 Grad Celsius. Leise öffnete jemand die Tür, und im Halbdunkel erschien Jonas, ein Schatten in braunrotem Schlafanzug, eine schemenhafte Gestalt mit Pferdegesicht und dem Gebaren eines Leichenbestatters. »Wieder?« fragte Reich.
»Ja, Mr. Reich.«
»Laut?«
»Sehr laut, Sir. Wie in schrecklicher Furcht.«
»Ihre verdammten Eselsohren!« brummte Reich. »Ich habe niemals Furcht.«
»Gewiß, Sir.«
»Verschwinden Sie!«
»Jawohl, Sir. Gute Nacht, Sir.« Jonas wich zurück und schloß von draußen die Tür.
»Jonas!« rief Reich hinterdrein. Der Hausdiener trat erneut ein. »Entschuldigen Sie, Jonas.«
»Schon gut, Sir.«
»Nein, es ist nicht gut so.« Reich schenkte ihm ein freundschaftliches Lächeln. »Ich behandele Sie wie einen Verwandten. Für diese Laune zahle ich Ihnen zuwenig.«
»Durchaus nicht, Sir.«
»Wenn ich Sie das nächste Mal anschnauze, schnauzen Sie zurück. Warum soll der Spaß nur auf meiner Seite sein?«
»O nein, Sir, das geht nicht.«
»Hören Sie auf meinen Rat, dann gewähre ich Ihnen eine Gehaltserhöhung.« Reich lächelte nochmals. »Das ist alles, Jonas. Vielen Dank.«
»Dankeschön, Sir.« Der Diener ging.
Reich erhob sich aus dem Bett und trocknete sich vorm Drehspiegel mit einem Badetuch ab; dabei übte er sein leutseliges Lächeln. »Man muß sich seine Feinde aussuchen«, murmelte er. »Feindschaften darf man nicht dem Zufall überlassen.« Er betrachtete sein Spiegelbild: breite, kraftvolle Schultern, schmale Hüften, die Beine lang und sehnig; ein gediegenes Angesicht mit offenherzigem Blick, einer Nase, die gemeißelt wirkte wie bei einem Standbild, und einem kleinen Mund mit dem Ausdruck von Empfindsamkeit, aber auch Falten der Unversöhnlichkeit. »Warum nur?« fragte er sein Spiegelbild. »Ich möchte das Aussehen nicht mit dem Teufel tauschen. Ich wollte nicht mit Gott den Platz tauschen. Warum also schreie ich im Schlaf?« Er streifte den Morgenmantel über und warf einen Blick auf das Multi-Chronometer, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß er den Überblick der Uhrzeiten im Sonnensystem mit einer unbewußten Selbstverständlichkeit ablas, die seine Vorfahren außer Fassung gebracht hätte. Die Anzeigen lauteten:
Nacht, Mittag, Sommer, Winter... ohne lange überlegen zu müssen, konnte Reich Datum, Uhrzeit und Jahreszeit für jeden Längengrad eines jeden Himmelskörpers im Sonnensystem nennen. Hier in New York brach ein unerfreulicher Morgen nach einer für ihn unerfreulichen Nacht bitterböser Alpträume an. Er mußte ein paar Minuten für die Analyse durch seinen ESP-Psychiater opfern. Diesen Schreien mußte ein Ende gemacht werden. »E wie ESPer«, murmelte er. »ESP wie Extra Sensorische Perzeption... Telepathen, Gedankenleser, Hirn-Introvisoren. Man sollte wirklich meinen, daß ein Arzt, der zum Gedankenlesen fähig ist, dafür sorgen kann, daß das
Weitere Kostenlose Bücher