Sämtliche Werke
großen Briefbogen zum Lesen ganz klein zusammenfallen, um ihn vor dem Wind zu schützen. Dann las er: »Dem Herrn Landvermesser im Brückenhof. Die Landvermesserarbeiten, die Sie bisher ausgeführt haben, finden meine Anerkennung. Auch die Arbeiten der Gehilfen sind lobenswert, Sie wissen sie gut zur Arbeit anzuhalten. Lassen Sie nicht nach in Ihrem Eifer! Führen Sie die Arbeiten zu einem guten Ende. Eine Unterbrechung würde mich erbittern. Im übrigen seien Sie getrost, die Entlohnungsfrage wird nächstens entschieden werden. Ich behalte Sie im Auge.« K. sah vom Brief erst auf, als die viel langsamer als er lesenden Gehilfen zur Feier der guten Nachrichten dreimal laut »Hurra!« riefen und die Laternen schwenkten. »Seid ruhig«, sagte er und zu Barnabas: »Es ist ein Mißverständnis.« Barnabas verstand ihn nicht. »Es ist ein Mißverständnis«, wiederholte K., und die Müdigkeit des Nachmittags kam wieder, der Weg ins Schulhaus schien ihm noch so weit, und hinter Barnabas stand dessen ganze Familie auf, und die Gehilfen drückten sich noch immer an ihn, so daß er sie mit dem Ellenbogen wegstieß; wie hatte Frieda sie ihm entgegenschicken können, da er doch befohlen hatte, sie sollten bei ihr bleiben. Den Nachhauseweg hätte er auch allein gefunden, und leichter allein als in dieser Gesellschaft. Nun hatte überdies der eine ein Tuch um den Hals geschlungen, dessen freie Enden im Wind flatterten und einigemal gegen das Gesicht K.s geschlagen hatten, der andere Gehilfe hatte allerdings immer gleich das Tuch von K.s Gesicht mit einem langen, spitzen, immerfort spielenden Finger weggenommen, damit aber die Sache nicht besser gemacht. Beide schienen sogar an dem Hin und Her Gefallen gefunden zu haben, wie sie überhaupt der Wind und die Unruhe der Nacht begeisterte. »Fort!« schrie K. »Wenn ihr mir schon entgegengekommen seid, warum habt ihr nicht meinen Stock mitgebracht? Womit soll ich euch denn nach Hause treiben?« Sie duckten sich hinter Barnabas, aber so verängstigt waren sie nicht, daß sie nicht doch ihre Laternen rechts und links auf die Achseln ihres Beschützers gestellt hätten, er schüttelte sie freilich gleich ab. »Barnabas«, sagte K., und es legte sich ihm schwer aufs Herz, daß ihn Barnabas sichtlich nicht verstand, daß in ruhigen Zeiten seine Jacke schön glänzte, wenn es aber Ernst wurde, keine Hilfe, nur stummer Widerstand zu finden war, Widerstand, gegen den man nicht ankämpfen konnte, denn er selbst war wehrlos, nur sein Lächeln leuchtete, aber es half ebensowenig wie die Sterne oben gegen den Sturmwind hier unten. »Sieh, was mir der Herr schreibt«, sagte K. und hielt ihm den Brief vors Gesicht. »Der Herr ist falsch unterrichtet. Ich mache doch keine Vermesserarbeit, und was die Gehilfen wert sind, siehst du selbst. Und die Arbeit, die ich nicht mache, kann ich freilich auch nicht unterbrechen, nicht einmal die Erbitterung des Herrn kann ich erregen, wie sollte ich seine Anerkennung verdienen! Und getrost kann ich niemals sein.« - »Ich werde es ausrichten«, sagte Barnabas, der die ganze Zeit über am Brief vorbeigelesen hatte, den er allerdings auch gar nicht hätte lesen können, denn er hatte ihn dicht vor dem Gesicht. »Ach«, sagte K., »du versprichst mir, daß du es ausrichten wirst, aber kann ich dir denn wirklich glauben? So sehr brauche ich einen vertrauenswürdigen Boten, jetzt mehr als jemals.« K. biß in die Lippen vor Ungeduld. »Herr«, sagte Barnabas mit einer weichen Neigung des Halses - fast hätte K. sich wieder von ihr verführen lassen, Barnabas zu glauben -, »ich werde es gewiß ausrichten; auch was du mir letzthin aufgetragen hast, werde ich gewiß ausrichten.« - »Wie!« rief K. »Hast du denn das noch nicht ausgerichtet? Warst du denn nicht am nächsten Tag im Schloß?« - »Nein«, sagte Barnabas. »Mein guter Vater ist alt, du hast ja gesehen, und es war gerade viel Arbeit da, ich mußte ihm helfen, aber nun werde ich bald wieder einmal ins Schloß gehen.« - »Aber was tust du denn, unbegreiflicher Mensch!« rief K. und schlug sich an die Stirn. »Gehen denn nicht Klamms Sachen allen anderen vor? Du hast das hohe Amt eines Boten und verwaltest es so schmählich? Wen kümmert die Arbeit deines Vaters? Klamm wartet auf die Nachrichten, und du, statt im Lauf dich zu überschlagen, ziehst es vor, den Mist aus dem Stall zu führen.« - »Mein Vater ist Schuster«, sagte Barnabas unbeirrt«, er hatte Aufträge von Brunswick, und ich bin ja des Vaters
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