Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
ja, der Jetlag.«
»Hm …«, macht Erich. Vermutlich hat er dieses Wort bei seinen Gesprächen, die er garantiert im Akkord führt, so oft gehört, dass er es nicht mehr von einem Tinnitus unterscheiden kann.
»Und überhaupt könnte die Pflege sozialer Kontakte schwierig sein …«, schiebe ich schnell hinterher. Um diesen Punkt weiß ich von Bekannten, die es ihren häufigen Dienstreisen zuschreiben, dass man sie erst gar nicht mehr zum Grillen einlädt.
Zum Glück sind meine sozialen Kontakte alle in der Agentur versammelt. Wenn mir nach Gesprächen ist, gehe ich einfach zum Farbdrucker, wo erfahrungsgemäß am meisten los ist.
»Warum glauben Sie denn, das Fliegen schade Ihren Bekanntschaften?«, fährt Erich fort.
»Nun, die meisten Menschen haben ja sehr geregelte Arbeitszeiten …«, erkläre ich, denn auch davon habe ich gehört. »Und wenn die sich dann jeden Donnerstagabend zum Badminton treffen, säße ich in Hongkong und könnte nicht dabei sein.«
»Und das fänden Sie schlimm?«
»Nein!«, rufe ich eine Spur zu begeistert. Ich will unabhängig klingen, treffe aber einen Tonfall, mit dem man sich über einen Asteroiden freut, der soeben die Erde verfehlt hat. Aber wer braucht schon stickige deutsche Turnhallen, wenn man in Hongkong vom Hotelzimmer aus auf Zweimaster mit beleuchtetem Drachenbug sehen und bei Facebook posten kann: » Charlotte Loos has harbour view« ?
»Wir wechseln dann jetzt zum englischen Teil«, verkündet Erich. »What are your expectations for being a flight attendant?«
Das ist einfach. Ein neues Leben mit kostspieligen Lippenstiften und einem Reiseplan wie dem der Bundeskanzlerin, nur ohne konkursgehende Schwermetallfirmen zu besuchen oder Neujahrsansprachen halten zu müssen. Nicht zu vergessen das Landhaus in der Provence mit meinem Mann, dem Flottenchef und unseren zweisprachig aufwachsenden Kindern Olivier-Réné und Marcheline-Pacaline . Vielleicht werde ich auch hier und da ein Fitnessvideo herausgeben, oder ein Buch mit dem Titel: Charlotte Loos – Die Tomatensaft-Diät.
Ich befürchte aber, Erich könnte auch hier meine simple Erwartungshaltung gegen mich verwenden und erwähne lieber Dinge wie: »Gastgeber der Airline zu sein«, eine »positive Atmosphäre der Ruhe und Sicherheit an Bord zu verströmen« und »auch brenzlige Situationen als Herausforderung anzusehen«. Sätze, die ich selbstverständlich Tage zuvor sorgfältig mit einem Wörterbuch übersetzt habe.
Ach ja, ganz nebenbei würde ich natürlich gerne reisen, aber das sei sekundär und diene primär dazu, meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Und das auch nur, falls mir meine verantwortungsvolle Arbeit an Bord noch Zeit dafür ließe.
» Alright, I think we are done for now … Frau Loos, haben Sie denn noch irgendwelche Fragen an mich?«
Zu gerne würde ich meiner Enttäuschung Luft machen, dass er weder mein Verständnis zum spezifischen Gewicht von Kerosin überprüft hat, noch dass ich nicht auf Fundamentales habe eingehen können wie die Fertigung von Trolley-Gelenkachsen, den bemerkenswerten Börsengang von Skyline 1983 oder die Entstehung der Shetland-Inseln am Ende des Paläozoikums im Rahmen der Kaledonischen Gebirgsbildung.
Stattdessen säusele ich: »Nein, im Moment nicht« und treffe endlich meine harfengleichen Miss Universe-Harmonien.
Wir verabschieden uns, und Erich verspricht, dass ich in den nächsten zehn Tagen Bescheid von Skyline bekomme, ob ich zum Assessment-Center eingeladen werde.
Es sind lange Tage, die Julian und ich mit einer Kampagne für Fertigpizza zubringen und damit, die Wahlwiederholung des Kammerjägers zu drücken, weil der Dobermann kein Flohhalsband trägt, sondern ein wenig zweckmäßiges Modell von Swarovski, das den Flöhen funkelnd den Weg weist.
Es muss einfach klappen mit Skyline!
Neun Tage vergehen, in denen ich bereits wage davon zu träumen, wie ich mich als angehende Pilotenfrau während der trostlosen Abwesenheiten meines Mannes in grobmaschigem Häkel-Vintage vor dem offenen Kamin unseres Zweitwohnsitzes im Taunus räkele. Oder unsere Souvenirsammlung alphabetisch den Destinationen nach in einer begehbaren Vitrine dekoriere. Gedanken an Spaziergänge auf der Chinesischen Mauer oder durch eine Gucci-Filiale in Mailand, verbiete ich mir jedoch noch.
Immerhin entsteht in dieser Zeit des Hoffens eine hochgelobte Kampagne mit dem Slogan Maria, ihm schmeckt’s! für Francescos Funghi-Pizza , die der Milky-Way-Mann schnell als seine Idee ausgibt.
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