Wie die Tiere
eins
Jetzt ist schon wieder was passiert. Und manchmal beneide ich die Vögel, die über dem Augarten kreisen und von der ganzen Sache nichts wissen. Weil als Vogel hast du die berühmte Perspektive, du drehst deine Parkrunden, immer schön majestätisch. Du steigst vom Flakturm mitten im Augarten in die Luft und lässt die Liegewiesen unter dir vorbeiziehen, die Kinderspielplätze und die Hundezonen. Du schaust dir die Fußballfelder an, kreist mit der roten Laufbahn um die Wette, und über das blaue Kinderschwimmbad kommst du in den waldigen Teil hinüber mit den kreuz und quer laufenden Irrwegen. Da hast du als Krähe oder Mauersegler alles so schön im Blick, dass du aus der Distanz jeden auslachst, der wegen ein bisschen Mord die Fassung verliert.
Aber interessant. Vögel trösten einen nur bei Tag. Und nur wenn sie fliegen. Und nur wenn die Sonne scheint. Weil wenn die Nacht einbricht, da schreien die im Augarten, dass man glaubt, die ganze Geschichte ist vielleicht doch nicht so spurlos an ihnen vorübergegangen. Wenn da so ein Feld voller Krähen zusammenkommt, das ist ein hysterisches Gewieher, das glaubst du gar nicht. Tagsüber tun sie recht majestätisch. Aber am Abend fürchten sie sich vor dem Schlafengehen.
Jetzt heißt es, man soll so eine Geschichte nicht verdrängen, sondern alles noch einmal durchleben, nur das hilft. Nur nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Weil natürlich hat sich hinterher jeder einzelne Beteiligte gewünscht, er könnte die Sache ungeschehen machen. Aber es nützt ja nichts, der Mensch kann nichts ungeschehen machen, das ist von seiner ganzen philosophischen dings her nicht möglich. Heute kann er ja schon fast alles, aber ungeschehen machen, da beißt er sich die Zähne aus. Und der liebe Gott, der es könnte, den freut es wieder nicht.
Heute bin ich ein bisschen nachdenklich, und das kommt davon, dass sich der ganze Albtraum zusammengebraut hat wie die reinste Weltgeschichte. Weil in der Weltgeschichte sind zuerst die Tiere, und dann erst der Mensch. Und ob du es glaubst oder nicht, im Augarten war es genauso. Zuerst die Susi tot. Dann die Alice tot.Dann der Ralf tot. Dann die Asta-Vanessa tot. Dann die Donna tot. Und dann erst der Mensch tot.
Und da hat es vielleicht die Manu Prodinger doch nicht so schlecht getroffen, wie sie gesagt hat, der Augarten kommt mir immer vor wie eine verwunschene Seele. Natürlich Park in einer großen Stadt immer Seele, da gibt es gar nichts, da hätte jetzt nicht unbedingt die Manu Prodinger von ihrem Kärntner See nach Wien kommen müssen, damit sie das sagt. Jetzt nicht dass du glaubst, die Manu Prodinger war es, die im Augarten die Hundekekse ausgestreut hat. Im Gegenteil, die Manu war bei den Tierschützern ganz vorn dabei, sprich Eins-a-Spendensammlerin.
Tag für Tag ist die in ihrer roten Windjacke mit der Aufschrift «Tierfamilie» am Schwedenplatz gestanden und hat mit ihrem Charme noch den ärmsten Rentnerinnen den Hilflosenzuschuss aus der Tasche gezogen, dass das Zuschauen die reinste Freude war. Natürlich nicht sie allein, so was macht man immer zu zweit. Die Manu hat den Leuten den Weg verstellt wie der reinste Abfangjäger und ihnen ein Loch in den Bauch gequasselt wie die reinste Fernsehtante, und der Horsti hat die Schreibarbeiten gemacht, das war der seriöse Herr im Hintergrund.
Aber heute haben sie ausnahmsweise nicht am Schwedenplatz gesammelt, sondern im Augarten. Weil zu der großen Protestkundgebung gegen den Hundekeksstreuer haben sich natürlich Tausende Tierfreunde versammelt. Unmittelbar vor dem Flakturm, den sie da im Krieg mitten in den Augarten hineingestellt haben. Ein fast fünfzig Meter hoher Betonbunker mitten in der grünen Seele, das sieht schon ein bisschen aus, als wäre ein schwarzes, fensterloses Hochhaus direkt aus der Hölle in den Augarten hineingefahren, quasi seelisches Problem.
Aber interessant. Der Horsti hat auch ein seelisches Problem gehabt. Während er vor dem Flakturm mit dem Unterschriften-Einsammeln fast nicht nachgekommen ist, hat er dauernd über dieses Problem nachgedacht. Pass auf, der Horsti war seit Monaten in seine Kollegin verliebt. Und die Manu hat beim Spendensammeln ihre Reize ausgespielt, da hat sich dem Horsti manchmal vor Eifersucht fast seine Tierfamilie-Krawatte verfärbt.
Weil du darfst eines nicht vergessen. Männer spenden nichts. Das ist statistisch tausendmal bewiesen, Männer spenden nichts, und Reiche spenden nichts. Da kannst du fragen die Caritas, da
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