Urlaub fuer rote Engel
»Schreib das auf, Scherzer!«
Landolf Scherzers Verdienst, die literarische Reportage zu neuem Leben erweckt zu haben, hat ganz sicher auch mit seiner gesellschaftlichen
und künstlerischen Außenseiterrolle zu tun. – Da ist jemand sich und seinen Lesern treu geblieben.
Scherzer war und ist der präzise und detailgenaue Beobachter und Chronist: Jenseits der jeweils angesagten politischen Propaganda
fühlt er sich den gesellschaftlich Ausgebooteten und Nichtrepräsentierten nahestehend.
Wenn Scherzer auf Reisen geht nach dem Motto »Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Schlimme liegt so nah!«, erlebt er die
Welt weder mit dem Einverständnis des Konsumenten noch als sensationslüsterner, die Erwartungen des Marktes befriedigender
Klischeereporter. Scherzer nähert sich seinen Themen behutsam und diskret als Mitbetroffener, zuweilen auch als Mitleidender.
Was nicht bedeutet, dass er die Opfer verklärt, idealisiert oder ihnen nach dem Munde redet; er nimmt die Protagonisten seiner
Reportagen einfach ernst, er behandelt sie liebevoll, ist oft verwundert, sogar fassungslos, nie hasserfüllt. Er
menschelt
nicht, er
dämonisiert
auch nicht, und
Ostalgie
ist ihm fremd. Selbst die miesesten Gestalten seiner sozialkritischen Erkundungen, politische Schaumschläger und Betrüger,
windige Wendegeschäftemacher, mehrfach gewendete Wendehälse, führt er nicht als verabscheuungswürdige Schurken vor, vielmehr
in ihrem Spielraum und in ihrer Rolle oft als konsequenthandelnde Erfüllungsgehilfen und Handlanger vorgegebener Entscheidungen.
Landolf Scherzer berichtet nie vom Standpunkt des All- und Besserwissenden. Er nähert sich als Fragender, zuweilen Staunender;
statt zu belehren, wundert er sich, und so gibt er auch denen eine Chance, die es immer schon gewusst haben und meinen, nichts
dazulernen zu müssen. Sogar Scherzers Selbstkritik ist wohltuend unpathetisch, lakonisch und verallgemeinerungsfähig.
Landolf Scherzer unterscheidet sich deutlich und eindeutig von den üblichen und oft üblen »Reportern« in Zeitungen, Illustrierten
und Fernsehanstalten, die sich an der literarischen Form der Reportage vergriffen und sie dermaßen ausgeleiert, prostituiert
und inflationär entwertet haben, dass man schon einen neuen Begriff dafür finden möchte.
Da werden die Bilder, die uns die Medien über die Wirklichkeit dieses Landes verkaufen, einerseits immer greller, unschärfer,
überblendeter, verfälschter und immer schneller in ihrer Folge – kaum gezeigt und schon vergessen – und da setzt andererseits
einer an seinem Schreibtisch entgegen dieser oberflächlichen Schnelligkeit und Schnelllebigkeit mühevoll und hintergründig
Teil für Teil eines genauen Wirklichkeitsbildes zusammen, ein Puzzle aus gründlicher dokumentarischer Recherche und Erlebnisschilderung.
Der Berichterstatter und Zeitzeuge Scherzer versucht, wie sein Vorbild Kisch, als »Schriftsteller der Wahrheit« die Vergangenheit
und Zukunft in Beziehung zur Gegenwart zu setzen, und das mit Phantasie und solidem Handwerk.
Er scheut sich nicht, die traditionelle Reportage ohnemodernistischen Schnickschnack für seine aktuellen Themen zu verwenden, und schafft es, Wirklichkeit nicht, wie zumeist üblich,
lediglich als schnell zu vermarktende Sensation zu
benutzen
, sondern sie im klassischen Sinn der Reportage durchschaubar, nacherlebbar zu machen. Dabei hat er sich auf ein schwieriges
Unterfangen eingelassen, denn immer weniger Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen sie noch: die große Reportage zu sozialen,
ökologischen und anderen wichtigen Themen dieser Zeit, einer Zeit übrigens, die wegen ihrer Konflikte geradezu nach Reportagen
schreit, denn soziale Spannungs- und politische Umbruchzeiten waren immer auch Hoch-Zeiten der Reportage.
Als Insider, Leidtragender und Nutznießer der neuen Freiheit versucht Scherzer, diese ihm bislang fremde Wirklichkeit einer
hemmungslosen »Marktwirtschaft« für sich und seine Leser transparent zu machen. Er tut das gegen Politik und Medien, die das
große Geld auch damit verdienen, dass sie diese »schöne neue Welt« à la Huxley für den kleinen Mann undurchschaubar verklären
und verfälschen.
Der Reporter Scherzer hat nicht spektakulär die Tresore der Treuhand geknackt, aber er hat stattdessen zum Beispiel versucht,
als ehemaliger DDR-Bürger ein von der Treuhand angebotenes Schloss zu kaufen.
Er hat in Erfurt nicht nur die Erben der Topf-Firma
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