Sagen aus dem Rheinland
Karrengeleise, und der Mittelpunkt der Erde ist hier, wo ich stehe«, sagte der pfiffige Knecht. Da wurde der Abt hocherfreut. Weil er sich aber trotzdem scheute, dem Erzbischof vor die Augen zu treten, so bewog er den Schweinehirten, an seiner Statt und in seiner Amtskleidung die Reise nach Bonn zu unternehmen. Als der nun dort die drei Fragen zur Zufriedenheit gelöst hatte, plagte ihn der Schalk, und er erbot sich, des Kurfürsten geheimste Gedanken zu erraten. Da wurde dieser neugierig, machte aber ein recht verdutztes Gesicht, als er hörte: »Ihr denkt, Ihr sprecht mit dem Abt von Düsseltal; ich bin aber nur des Klosters Schweinehirt.« Zum Schluß legte der wackere Beherrscher des Borstenviehes noch ein gutes Wort für seinen Herrn ein, damit dieser auf seinem Posten verbleiben konnte. Der Schweinehirt aber erhielt als Lohn einen Freibrief und das Gnadenbrot im Kloster bis an sein Ende.
Der Affe zu Dhaun
Nicht weit von der Nahe, hoch über dem Tal des Simmerbaches, stand das im Mittelalter erbaute stolze Schloß Dhaun. Dort wohnten lange Zeit die Wild- und Rheingrafen, ein mächtiges und reiches Geschlecht. In den Ruinen ihrer alten Burg sieht man über dem Torbogen des Palastes ein wunderliches Bild. Es stellt einen Affen dar, der einem Kinde einen Apfel reicht. Über die Entstehung dieses Bildes berichtet die Sage.
An einem schönen Sommertage saß im Garten der Burg eine Wärterin mit dem kleinen Grafenkinde. Die Sonne brannte heiß hernieder, einschläfernd summten die Bienen in den Rosensträuchern; die Wärterin fiel in einen leichten Schlummer. Als sie erwachte, war das Kind verschwunden. Nachdem sie sich von dem ersten lähmenden Schrecken erholt hatte, suchte sie jammernd den weiten Garten und die ganze Gegend ab; doch sie fand nicht einmal eine Spur ihres Schützlings. In ihrer Verzweiflung lief sie in den Wald; denn sie getraute sich nicht mehr, ihrem Herrn vor die Augen zu treten. Da sah sie plötzlich nach langem Umherirren unter einem schattigen Baume das verlorene Kind. Es lag mit roten Bäckchen im weichen Moose und schlief. Neben ihm saß der gleichfalls schlafende Affe, den der Burggraf von einer Fahrt nach dem Morgenlande mitgebracht hatte. Überglücklich schloß die Wärterin das wiedergefundene Kind in ihre Arme und eilte zum Schlosse, wo sich Trauer und Klagen schnell in Freude und Jubel verwandelten.
Der Vater des Kindes ließ die seltsame Begebenheit in jenem Steinbilde am Torbogen festhalten.
Der Bernkasteler Doktor
Auf seiner schönen Burg Landshut lag Erzbischof Boemund schwer krank danieder; vergebens hatten die Ärzte ihre Kunst an ihm versucht, unrettbar schien er dem Tode verfallen.
Da versprach der Kirchenfürst hohen Lohn dem, der ihm noch helfen könne. Ein schlichter Bürger aus Bernkastel hörte das. Gar feinen Wein hatte er im Keller; er nahm ein Fäßlein vom Allerbesten und trug es keuchend hinauf zur kurfürstlichen Burg. Erst wollte man ihm hier den Eintritt verwehren, doch als er dringlich vorgab, er sei der rechte Doktor, der den Kurfürsten ganz gewiß wieder gesund machen könne, ward er eingelassen. Vor dem Krankenbette schlug er den Kran ins Fäßlein, füllte einen Becher mit perlendem Wein und reichte ihn dem Kurfürsten mit den Worten: »Wer von diesem Wein trinkt, der muß gesund werden. Das ist der rechte Doktor! «
Erst nippte der Kranke, dann schlürfte er, dann tat er einen langen Zug. Als der Becher geleert war, sprach er: »Reich mir noch mehr von dieser guten Arznei! Ich fühle, wie sie mir wohlig durch die Adern rinnt.« Nun trank er weiter von dem köstlichen Lebenselixier, und schon nach kurzer Zeit konnte er völlig genesen vom langen Krankenlager aufstehen.
Noch heute rühmt man jenen Wein als den »Bernkasteler Doktor«.
Der Binger Bleistift
In alten Zeiten rief einmal der Bürgermeister von Bingen seine einundzwanzig Schöffen zusammen, um mit ihnen über das Wohl und Wehe der Bürger zu beraten. Viel kluge Gedanken wurden da zu Tage gefördert, manch guter Rat wurde gegeben. Endlich sagte der Bürgermeister: »Ihr Herrn, was ihr vorgebracht habt, hat Hand und Fuß. Damit es aber nicht in Vergessenheit gerät, sondern zum Besten unserer guten Stadt in die Tat umgesetzt werden kann, will ich die trefflichsten Vorschläge zu Papier bringen.« Er begann in seinen Rocktaschen nach einem Bleistift zu suchen, fand aber keinen. »Kann einer der Herren mir einen Bleistift leihen?« wandte er sich an die Stadtväter. Die schauten ihn halb
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