Sagen aus der Hanse
dem Bruder Recht gäbe, und setzte das Fährgeld auf die Hälfte herab. Da erschrak der Bruder Fährmann, denn dieses Urteil verkürzte ihm seine Haupteinnahme und stürzte ihn in Not, und er rief aus: Das ungerechte Urteil wird dir auch noch im Tod keine Ruhe lassen. Der Bruder Richter, der bei diesem Wort erkannte, wie ungerecht er eben gewesen war, erhob sich, um dem Fortgehenden nachzueilen, aber nach wenigen Schritten erbleichte er und sank zum Schrecken aller tot zu Boden.
Nach seinem Tode hatte sein Weib an ihrem reichen Hause keine Freude mehr und sie verkaufte es. Den Käufer aber reute bald sein Geld, denn wenn er aus dem Fenster auf die Straße schaute, so stand der tote Richter hinter ihm und blickte ihm über die Schulter. Oder er zeigte sich unvermutet in der Küche und im Keller und erschreckte die Hausbewohner. Da ließ man einen gelehrten Kapuziner kommen, der bezwang den toten Richter und brachte ihn am Abend trotz allen Widerstrebens auf einen bereitgehaltenen Wagen. Der fuhr zum Ostertor, und als sie am Rathaus vorüberkamen, da rief es mit schrecklicher Stimme dreimal aus dem Wagen: Richter, richte recht! Je näher sie aber dem Ostertor kamen, desto schwerer wurde der Geist, denn er wollte nicht zur Stadt hinaus, bis die Pferde schließlich standen. Aber der Kapuziner ließ aus dem Marstall Vorspann kommen, und nun ging es rasch zum Tor hinaus nach dem Schwarzen Meer und der Pauliner Marsch. Dort wurde der tote Richter hin verbannt mit der Bedingung, daß er nicht eher wiederkommen dürfe, ehe er nicht den Sumpf mit einem Siebe ausgeschöpft und das Gras auf der Wiese bis auf den letzten Halm gezählt habe. Dort aber neckte und quälte der Verbannte alle, die sich seinem Ort nahten.
Da sich nun niemand mehr auf die Pauliner Marsch getraute und er ja in die Stadt der Bedingung wegen nicht rückkehren konnte, versuchte er nach dem Werder auszuweichen. Als der Bruder Fährmann am Morgen sein Schiff betrat, um die Melker überzusetzen, stand unter ihnen mit abgewandtem Gesicht ein prächtig angezogener Mann. Und als er drüben angekommen war und das Fährgeld heischte, raffte sich jener Mann empor, schoß jäh an ihm vorüber und rief aus: Der letzte Mann bezahlt die Fähr! Da erkannte der Fährmann, wen er übergesetzt hatte und die Melker schrien, er möge sie um Gotteswillen gleich wieder zurückführen. Der Bruder Richter aber übte nun hier seine Neckereien und Quälereien, wie vordem auf der Pauliner Marsch. Als aber der Winter kam und es auf dem Werder einsamer wurde und das Wasser die Landschaft weit und breit überströmte, da verlangte es ihn zurück auf die Marsch. Er trat also ans Ufer und rief den Fährmann: Hahl awer! Der kam, als er den aber erkannte, der am Ufer stand, da wandte er die Fähre und entwich. Jener hat später noch sehr oft gerufen; aber dem Fährmann war der Ruf bekannt und er ließ sich nicht täuschen, und ebensowenig nach ihm seine Kinder und Nachfolger. So muß nun der Verbannte, den man um seines Rufes willen den Hahl-awer nennt, für immer auf dem Werder bleiben. Und heute noch ziehen sich die Anwohner am Punkendeich die Bettdecke über die Ohren, wenn sie vom Werder herüber den Hahl-awer hören.
Henkersnot
In Bremen, sagt man, sei in den Hexenzeiten ein Tischler gewesen, der wohnte an der Hukpforte, und ein Schiffer, der von seinem Fahrzeug hinter der Mauer an dem Hause vorbei heimging, wunderte sich, am späten Abend noch Licht darin zu sehen. Er fand in der Fensterlade ein Astloch und als er durch dieses spähte, wurde er gewahr, wie der Tischler zwei dünne Stäbchen kreuzweise übereinander legte und sie mit einem kupfernen Nagel zusammenheftete. Dabei schaute er ab und zu in ein Buch, das auf dem Tische lag, und in dem er leise murmelnd las.
Am selben Abend hatte ein Ratsherr, der den Bau des Rondel auf dem Schwanengatt beaufsichtigte, das Unglück, daß ihm ein schon vorher entzündetes Auge auslief. Das vernahm der Schiffer und er reimte sich das so zusammen, daß der Tischler es mit seinem Schlag auf den Nagel ausgeschlagen habe. Und obwohl dieser behauptete, er habe nichts Unrechtes getan, sondern nur Tischlerwerk verrichtet und dabei seiner Gewohnheit nach ab und zu einen Vers in der Bibel gelesen, und man könne ja bei ihm Nachsuche halten, so würde man in seinem Hause nichts Arges finden. Das geschah auch und man fand wirklich das Gerät, in dem die Stäbchen mit dem Kupfernagel lagen, und außer der Bibel sonst kein Buch im Hause, aber man
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