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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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des Sonnengottes Helios, sich in ebendiesen weißen Stier verliebte.
    Pasiphaë verliebte sich nicht nur in ihn, sondern sie begehrte ihn sexuell, und zwar auf eine äußerst leidenschaftliche Art. Sie erzwang sich Eintritt zu seinem Stall. Sie liebkoste das schöne Tier und wollte, daß dieser Stier sie bestieg. Nur, aus rein anatomischen Gründen war das ziemlich schwierig. Aber der Zufall wollte es, daß sich zu dieser Zeit der bedeutendste Erfinder des Altertums auf Kreta aufhielt, nämlich Daidalos. Und so ging Pasiphaë in ihrer sexuellen Not zu Daidalos und sagte zu ihm, er solle ihr helfen.
    Daidalos ist das Urbild des Technikers, der die Errungenschaften seiner Profession wertneutral sieht. »Verantwortung trägt der, der eine Erfindung anwendet, nicht der Erfinder«, pflegte er zu sagen. »Die Technik ist moralisch neutral.« Also nicht das Maschinengewehr als solches ist verwerflich, sondern lediglich seine Anwendung kann es sein. – Daidalos wußte fast immer Rat.
    Auch der Pasiphaë konnte Daidalos helfen. Er baute ihr eine Kuh aus Holz, die innen hohl war, und legte die Betriebsanleitung gleich mit dazu. Es war unten eine Klappe eingebaut. Dort konnte sich Pasiphaë hineinlegen und den Stier erwarten.
    Diese unglückliche Frau! Man muß dazu sagen, diese in mehrerer Beziehung unglückliche Frau, denn bevor sie der Gott des Meeres in dieses besessene, von monströsen Phantasien heimgesuchte Wesen verwandelt hatte, litt sie sehr darunter, daß ihr Gatte Minos sie ununterbrochen mit anderen Frauen betrog.
    Aus der Verbindung von Pasiphaë und dem Stier erwuchs ein tatsächliches Monstrum, der Minotauros. Der Minotauros war ein Knabe mit dem Kopf eines Stiers. Er war gefährlich, sah unbeschreiblich häßlich aus und war ein immer gegenwärtiger Beweis des perversen Fehltritts der Pasiphaë.
    Der Minotauros war ein Problem. Er fiel die Leute auf den Straßen an. Aufruhr drohte. Daidalos wurde wieder um Rat gefragt, diesmal von Minos.
    »Weißt du einen Ausweg«, fragte Minos. »Dieses Untier ist mein Stiefsohn, meine Frau hat ihn geboren.«
    Daidalos sagte: »Ich baue ihm ein Gefängnis. Dann sind wir sicher vor ihm.«
    Daidalos ließ ein Labyrinth bauen, in das er den Minotauros sperrte. In der Mitte des Labyrinths, wie eine Spinne im Netz, saß das Ungeheuer und fand sich in den verschiedenen Gängen und Winkeln nicht zurecht.
    Aber, wie gesagt, dieser Minotauros war ein gefräßiges Wesen, das am liebsten Menschenfleisch mochte. – Wieder ein Problem.
    Daidalos sagte: »Menschen kann ich leider keine machen, jedenfalls keine echten, die man fressen kann.«
    »Also, was soll ich tun«, fragte Minos.
    »Menschen einfangen wäre, rein sachlich betrachtet, eine Lösung«, sagte Daidalos.
    Minos war gezwungen, Kriege zu führen, um Lebend futter für dieses Untier herbeizuschaffen.
    Unter anderem kam er in dieser Angelegenheit auch nach Athen. Er wollte die Stadt einnehmen, wollte dort junge Männer und junge Frauen gefangennehmen. Aber Theseus, Prinz von Athen, leistete Widerstand, und er war ein viel besserer Krieger, und so mußte sich Minos zurückziehen. Er betete zu seinem Vater, dem obersten Gott Zeus, er möge ihm die Schande ersparen, ohne Sieg nach Hause zurückzukehren, er möge Athen in die Knie zwingen. Und Zeus, obwohl er über das Ziel dieses Kriegszuges unterrichtet war, hatte ein Einsehen und schickte die Pest nach Athen, und die Athener ergaben sich.
    Minos handelte nun mit Theseus aus, daß jedes Jahr neun Jungfrauen und neun Jünglinge nach Kreta geschickt werden sollen, um dem Minotauros zum Fraß vorgeworfen zu werden.
    Das war natürlich ein gewaltiger Blutzoll, den die stolze Stadt Athen der Insel Kreta zu zahlen hatte. Theseus, der weithin berühmte Held, konnte eine solche freche Provokation nicht auf sich sitzen lassen.
    »Wir können nicht anders«, sagte Minos. »Wir selbst sind Geiseln des Minotauros.«
    Theseus zog nach Kreta, weil er sich sagte, man muß das Übel an der Wurzel packen.
    »Wir können nicht anders«, sagte er zu Minos, »ich muß den Minotauros töten.«
    Minos hatte nichts dagegen. Das Untier war eine Plage. Diese Plage war nicht loszuwerden, davon war er überzeugt. Sie war ihm und der Insel auferlegt worden vom Gott des Meeres. Wenn da ein Tollkühner kam, einer wie Theseus, und meinte, er könne das Übel ausrotten, bitte, da hatte er nichts dagegen. Mithelfen wollte er dabei allerdings nicht.
    Er sagte: »Geh du hinein in das Labyrinth, du allein. Wenn du

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