Salz auf unserer Haut
mit Marie-Josée und den Kindern auf dem Hof vorbeikam. »Jaja, angeblich ist der Meeresboden dort nur so gepflastert mit Langusten«, bestätigte die Schwiegertochter mit gieriger Miene. »Schließlich haben wir jetzt die vier Kinder! Und die Abzahlungen fürs Haus…«
Mit ihren dreiunddreißig Jahren hatte sich Marie-Josée ostentativ im Lager der Hausfrauen verschanzt und sprach von ihren Kindern wie ein Säugetier. Sie gehörte zu jenen Frauen, die »ohne Rast und Ruh« von früh bis spät auf den Beinen sind, die ihr Haus schrubben und wienern, ihren Gemüsegarten pflegen, ständig in der Waschküche zu finden sind, und die ihre vom rollenförmigen Busen ausgebeulte Kittelschürze nur sonntags für den Kirchgang ausziehen. Ihre letzte Schwangerschaft hatte sie um zwei Schneidezähne ärmer und um zehn Jahre älter gemacht. Vorzeitig hatte sie sich unter die geschlechtslosen Muttertiere eingereiht. Fortan hatte sie mehr Ähnlichkeit mit ihrer Schwiegermutter als mit dem vergänglich-zarten jungen Mädchen, das Gauvain ein paar Jahre zuvor geheiratet hatte.
Ihn traf ich manchmal auf dem Dorfplatz, wo er sonntags Boule spielen kam, wenn er an Land war. Die Schwangerschaften seiner Frau hatten seiner Schönheit keinen Abbruch getan, und er war nach wie vor der größte Herzensbrecher von Raguenès, ja sogar von Névez, Trégunc und Trévignon, möglicherweise von Concarneau! Seinen scheinbaren Seelenfrieden hätte ich gerne gestört, zu gerne hätte ich gewußt, ob er manchmal von mir träumte, aber er war nie allein, und dadurch blieben ihm Anspielungen auf damals, auf die wilde Entgleisung aus unseren Schicksalsbahnen, erspart. An meinem zwanzigsten Geburtstag war ich überzeugt gewesen, daß das kommende Jahrzehnt das bedeutendste und das ausgefüllteste meines Lebens sein würde. Als ich es abschloß, entdeckte ich mit freudiger Verwunderung, daß ich durchaus noch einmal von Null anfangen konnte, und mit Verblüffung, daß ich von meinen »zehn schönsten Jahren« fünf damit zugebracht hatte, unglücklich zu sein. Das war viel zuviel, und ich warf mir lange Zeit vor, in Einsamkeit und Verlassenheit stagniert zu haben. Aber die Erfahrung des Unglücks muß man ja irgendwann machen, und vermutlich kann man sie mit fünfundzwanzig am besten in Angriff nehmen, ohne irreparablen Schaden davonzutragen. Leider bin ich ein Mensch, dem es an Stolz und Ehrgeiz mangelt und der zugleich mit einer beachtlichen Leidensfähigkeit ausgestattet ist: Also habe ich Jahre gebraucht, bis ich mein Ehedasein unerträglich fand und, was schlimmer ist, schädlich. Immerhin hatte ich am Schluß das Gefühl, daß ich mein Leidenskapital erschöpft hatte.
Wäre ich mit Gauvain glücklicher geworden? Natürlich habe ich mir diese Frage manchmal gestellt. Aber Vorsicht, allzu bequem ist die Versuchung, heimlich jene Sehnsüchte zu hegen, die die Schwäche so vieler verheirateter Frauen sind, Frauen, die, wären sie frei, dennoch die gleiche Wahl träfen. Und im übrigen, wenn man schon scheitert, dann ist es besser, einem Liebeskummer, einer Scheidung ins Gesicht zu sehen und sich nicht in Vergleiche zu flüchten. Sonst macht man alles noch komplizierter, als es sowieso schon ist. Am Tag, an dem ich mir darüber klar wurde, daß ich fünf Jahre lang keinen anderen Mann angeschaut hatte als ausgerechnet den, der mir ständig Schmerz zufügte ‒ eine Geisteshaltung, deren Banalität die Opfer, hauptsächlich die weiblichen, keineswegs zu entmutigen scheint ‒, war die Befreiung überwältigend und die Rekonvaleszenz genußvoll. Meine durchweinten Nächte, meine mit Zweifeln und Selbstzerstörung ausgefüllten Tage kamen mir um so verwerflicher vor, als sie mir einen zu sehr geliebten Mann nicht zurückgebracht hatten, dessen chronischen Weltschmerz und dessen wachsende Reizbarkeit ich erfolglos zu verstehen versucht hatte. Am Tag, als mein Unglück die präzise Gestalt einer Regisseurin annahm, die ihn seit Jahren auf seinen beruflichen Reisen begleitete, ging mir endlich ein Licht auf, und meine Erleichterung war so jäh, daß jene demutsvolle, leichtgläubige Ehefrau, die ich gewesen war, mir binnen weniger Tage eine Fremde wurde. Und mir dann sehr bald als ein dummes Huhn erschien. Eine Zeitlang nahm ich es mir übel und dachte mir im nachhinein Taktiken aus, die es mir erlaubt hätten, entweder Jean-Christophe zurückzuerobern oder mich schneller von ihm zu befreien. Diese blinde und lahme Frau erkannte ich nicht wieder! Aber
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