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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoite Groult
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Anspruch erhebt, zum Zentrum erhabener Ekstasen zu werden, und das gelassen rechtfertigt, daß ein Mann viertausend Kilometer zurücklegt, um ihm zu begegnen! Das kann ja nur ein Mißverständnis sein.
    Gauvain beschäftigt sich wohl mit einem ähnlichen Gedanken, denn weder im Flugzeug noch im Bus, noch in der Wohnung, die sie soeben in Besitz genommen haben, hat er den geringsten Versuch gemacht, sie zu küssen. Sie reden von diesem und jenem, packen ihre Koffer aus, um ihre Verlegenheit zu überspielen, und als die Stunde der Wahrheit eigentlich schlagen müßte, hält es Gauvain für angebracht, vor dem Essen schwimmen zu gehen.
    »Ich habe große Fortschritte gemacht, du wirst sehen.«
    Bevor sie hinunter zum Strand gehen, nimmt er feierlich ein gewichtiges Paket aus seiner Tasche. »Schau, was in dieser Tüte ist. Ich hab's für dich ausgesucht. Entschuldige, daß ich nichts hatte, um ein schönes Geschenkpäckchen daraus zu machen.«
    Die »Tüten« aus braunem Papier öffnet sie stets mit einer gewissen Furcht, denn sie ist kein guter Mensch, und es will ihr nicht gelingen, ihre Betretenheit zu verbergen, wenn wieder ein Fund ihres Kormorans zum Vorschein kommt. Das Geschenk des Tages entpuppt sich als das scheußlichste der ganzen Reihe. Sie unterdrückt einen Schrei des Entsetzens beim Anblick der untergehenden Sonne aus Perlmutt, der Palmen aus gefärbten Korallen und der Eingeborenen in fluoreszierenden Strohröckchen, nicht zu vergessen das Glühbirnchen, auf daß das Gestirn des Tages von hinten leuchte. Ogottogott, heilige Madonna! Zum Glück kommt Gauvain nie zu ihr nach Hause, er wird also nicht sehen, wie sein Bild in das Schreckenskabinett unten im Kleiderschrank verbannt wird, wo bereits die aus einer Kokosnuß geschnitzte Tänzerin, sein erstes Geschenk, die orangefarben gefütterte Handtasche aus Kamelfell und das mit ihrer beider Sternzeichen ‒ dem Wassermann und dem Steinbock ‒ bestickte marokkanische Kissen ruhen.
    Sie küßt ihn, um sich nichts anmerken zu lassen und den schamerfüllten Schauer zu verbergen, der ihr über den Rücken läuft beim Gedanken, Sydney könnte in ihrem Koffer das erstaunliche Kunstwerk entdecken. Gauvain betrachtet sein Geschenk mit Rührung und packt es dann sorgfältig wieder ein, um es anschließend in den Louis-XV-Schrank aus Resopal zu räumen, den er abschließt, im Falle eines Falles, man kann ja nie wissen… George zieht den bunten Lamellenvorhang aus Plastik vor der Fensterfront zu, dann schließen sie, den dringenden Mahnungen, die auf jeder Tür angeschlagen sind, folgend, ihr Liebesnest Nr. 1718 dreifach ab. Wenn Sydney sie hier sehen könnte, in diesem leicht grotesken, weil hyperfunktionalen Ambiente, einem Typen gegenüber, der nicht sonderlich entschlossen wirkt, bekäme er einen jener markerschütternden Lachanfälle, die ihn jedesmal überwältigen, wenn er jemand lächerlich machen kann. Sein Lachen ist selten ein unschuldiges.
    Wenigstens ist Verlaß auf das sanfte Meer der Tropen, nach und nach vertreibt es die lähmenden Gifte der allzu langen Reise und ebenso der allzu dauerhaften Abwesenheit. Auf den von ihren Winterklamotten befreiten Körpern finden sie langsam wieder die alten Anhaltspunkte. Zur Feier des ersten Abends werden sie zum Essen ausgehen. La Kalabasha bietet Tische direkt am Wasser, sanfte Musik und luxuriösen Service ‒ sei's drum, wenn der Wein aus Jamaika ungenießbar, zugleich fad und sauer ist und wenn die Langusten der Karibik nicht zu vergleichen sind mit den bretonischen und sogar den grünen aus Mauretanien. Sie spielen das Spiel der beiden Touristen, die sich gerade im Flugzeug kennengelernt haben. »Mögen Sie das Meer?«
    »Die Frage hab' ich mir nie gestellt. Ich hab' sozusagen keine Wahl, bin nämlich Seemann!«
    Schön müßte er schon sein, der Unbekannte, der so zu ihr redet, damit George Lust bekäme, ihn in ihr Bett zu stecken! Aber das ist es ja gerade, er ist schön, von ausgesprochener Liebhaber-Schönheit, schön, wie man es an den Universitäten nicht ist, schön wie ein »Arbeiter des Meeres« bei Victor Hugo. »Und was tun Sie hier in Jamaika, darf man das fragen?« »Ja, das frage ich mich selber! Aber wissen Sie, ich bin
    gerade erst angekommen.«
»Kennen Sie denn niemand hier? Ein so schöner Mann wie
Sie! Ich hätte vielleicht eine Freundin…«
Gauvain verschlägt es die Sprache. Er kann nicht spielen, er
    spricht immer ernst, und Komplimente machen ihn verlegen, außer im Bett.
    Das

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