Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
Vom Netzwerk:
verbrachte dort nach wie vor den wundervollen Monat Oktober, auf den die Quebecois so stolz sind wegen der purpurnen Ahornbäume und des ganzen Überschwangs an flammenden Farben, die dem Weiß des Winters vorangehen. Gauvain kam jedesmal, so lange er konnte, und auch im Frühjahr hielten wir uns ein paar Tage in Frankreich frei. Im Grunde verbrachten wir die Tagundnachtgleichen zusammen, ein wenig wie die Sirenen aus den nordländischen Märchen, die für ein paar Tage im Jahr auf die Erde zurückkommen, um einen Menschen zu lieben. Und dies in der bangen Erwartung des Fallbeils der Pensionierung: Dann würde er endgültig nach Larmor zurückkehren, zu einer kranken Frau, ein Seewolf, der hinfort auf einer Wiese grasen soll… François erzählte ich nur die Hälfte der Wahrheit. Er wußte, daß mich Lozerech manchmal in Montreal besuchte, aber er zog es vor, mich nicht zu fragen, wieviel Zeit wir zusammen verbrachten. Es war eine stillschweigende Vereinbarung, daß Gauvain so etwas wie ein Privileg des Zuerstgekommenen genoß, das so lange Gültigkeit haben würde, wie es Gauvain gab. Unsere MärzBegegnung paßte zeitlich immer zu einem Reportageauftrag, und François tat so, als glaubte er mir. In unserer Verbindung war dadurch zeitweise etwas Wehmütiges, aber niemals wurde sie vergiftet. Die Großzügigkeit und die Vornehmheit des Herzens bei meinem Gefährten auf einem Gebiet, wo so wenige Ehepartner ihre Gefühle zu verbergen in der Lage sind, erfüllte mich mit Dankbarkeit und Achtung für ihn. Unseren letzten kanadischen Aufenthalt haben wir um eine Woche verlängert: In Quebec wollten wir die James Bay sehen und dem großen Aufbruch der Schwäne und der Gänse beiwohnen, wenn die Vögel, ähnlich wie die Ratten, das Schiff verlassen, bevor es für sechs Monate unter dem weißen Mantel des Winters versinkt.
    Auch Gauvain kam allmählich in den Winter. Er war jetzt siebenundfünfzig Jahre alt. An den Schläfen wurden seine Haare weiß, und auf den Händen verstrickten sich die Adern wie Taue auf einem Schiff. Sein Lachen war nicht mehr so dröhnend, aber seine kräftige Gestalt erinnerte noch immer an einen Granitfelsen. Den angespannten Muskeln ließ der Beruf wenig Gelegenheit zum Abschlaffen, und an guten Tagen wirkten seine Augen um so blauer und um so naiver. »Reden wir nicht von der Zukunft‹, hatte er mir diesmal bei der Ankunft gesagt, »ich will alle unsere gemeinsamen Momente genießen.«
    Und genossen haben wir sie! In diesem Jahr hatte er mir nach dem versprochenen und am Kap eigens bestellten Anker ein drittes Schmuckstück geschenkt, einen goldenen Anhänger, den man öffnen konnte und in dem unsere Initialen und nur eine Jahreszahl eingraviert waren: 1948, dann ein Strich und eine leere Stelle für die zweite Jahreszahl.
    »Wenn die Zeit gekommen ist, läßt du dann die zweite eingravieren.«
Ich hätte ihm am liebsten erwidert: Sie ist gekommen, wenn du es nicht wagst, Marie-Josée etwas zu sagen. Wir werden Rentner der Liebe sein, jetzt wo dir deine Arbeit kein Alibi mehr liefert. Jeden Abend schlief ich in seinen Armen ein mit dem Gedanken, daß er demnächst das ganze Jahr über in der Bretagne sein würde. Ganz in meiner Nähe, aber unerreichbar, in Marie-Josées Bett würde er liegen, und zum erstenmal ertappte ich mich dabei, daß ich eifersüchtig wurde. Ich versuchte, ihn in mir zu speichern, und heimlich hegte ich die Hoffnung, daß er es sehr bald nicht aushalten würde, gleichzeitig seinen Beruf und seine Liebe verloren zu haben. Aber ich hatte geschworen, dieses Thema nicht vor dem letzten Tag anzusprechen. Er kam viel zu schnell, der letzte Tag. Und der Koffer, und der zusätzliche Gurt, der vielleicht nie mehr Verwendung finden würde, und das nervöse Nachprüfen des Flugtickets, der Abflugzeit, der Ankunft in Roissy, der Busverbindung nach Orly, damit er den Anschlußflug nach Lorient nicht verpaßt ‒ und mir war es so verdammt egal, um wieviel Uhr er für immer bei Marie-Josée ankommen würde; er sollte doch nicht aus meinem Leben treten mit Sätzen über Fahrpläne! »Hast du irgendeinen Hauch von einer Idee, was du erfinden könntest, damit wir uns doch hin und wieder noch ein bißchen sehen, jetzt wo du ›Monsieur und Madame Lozerech« sein wirst?«
»Karedig, zu diesem Thema wollte ich dir sowieso noch was sagen.«
Plötzlich sah er aus wie ein sehr alter Kormoran, der in die Falle geraten war, und einen Augenblick stand mein Herz still…
»Vor vierzehn Tagen war

Weitere Kostenlose Bücher