Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Vorsitzende der Schülervertretung, Marylou Azoff, auf der kleinen Bühne an der Stirnseite des Saals ans Mikrofon und rief den Ballkönig und die Ballkönigin nach vorne. Bobby lockerte seinen Griff.
Als er aufstand, blickte er Emily nicht einmal an.
Er wusste, er hätte sie nicht so am Arm packen sollen. Sie bekam leicht blaue Flecken. Aber dann sollte sie eben mehr Bananen essen oder sonst was, vielleicht steckte dahinter ja ein gesundheitliches Problem.
Bobby reckte seinen gipsfreien Arm hoch, ballte kämpferisch die Faust und mit dem Rücken zu Emily brüllte er: »Ich komme, Baby!«
Die Leute lachten und jemand warf mit einer Zitronenscheibe nach ihm.
Harry Meledandri, der Technikfreak der Klasse, der weiter hinten im Saal sein Pult aufgebaut hatte, legte einen Schalter um und ein Dutzend Laser-Scheinwerfer ging an. Blaue und magentafarbene Lichtstrahlen wanderten jetzt durch den Raum wie in einem richtigen Club oder in einem Science-Fiction-Film.
Fast alle im Saal jubelten auf. Und dann wurde per Knopfdruck die Trockeneismaschine gestartet. Verfestigtes Kohlendioxid, schwerer als Luft, wurde auf die Tanzfläche geblasen, wo es eine dichte Nebelsuppe bildete. Der bestellte Fotograf trat in Aktion und knipste wie wild drauflos. Ballkönig und Ballkönigin tanzten miteinander und Bobby führte alle möglichen lächerlichen Posen vor.
Emily saß am Rand der Tanzfläche, wo sie das Scheinwerferlicht und der Trockeneisnebel nicht erreichten. Sie zog einen Stift aus der kleinen schwarzen Tasche, die über der Lehne ihres Stuhls baumelte, und auf die Rückseite der Speisekarte, die auf jedem Platz lag und die einige Mädchen als Souvenir eingesteckt hatten, schrieb sie:
Bobby – ich bin früher nach Hause. Viel Spaß! Emily
Keiner schien es zu bemerken, als sie danach aufstand und aus dem Ballsaal des Mountain Basin Inn hinausspazierte.
***
Die Sonne war bereits untergegangen, aber am Horizont leuchtete immer noch ein verschleiertes Orangerot und erst allmählich senkte sich die Dämmerung herab. Hätte sie andere Schuhe angehabt, wäre Emily einfach zu Fuß nach Hause gegangen. Zum Glück war direkt vor dem Hotel eine Bushaltestelle, wo ein blauer Citybus in ebendiesem Augenblick die Türen schloss.
Sie hatte die Wahl. Entweder versuchte sie, ihn noch zu erreichen, oder sie wartete auf den nächsten. Emily blickte über die Schulter zurück zum Hotel. Auf den nächsten Bus warten, konnte problematisch sein. Was, wenn Bobby bemerkte, dass sie verschwunden war, und ihr nachkam?
Deshalb zog sie die Schuhe aus und rannte los. Als sie den Bus erreichte, rollte er gerade an. Emily hämmerte gegen die Scheibe und der Fahrer trat auf die Bremse. Es passierte ihm nicht jeden Tag, dass ein siebzehnjähriges Mädchen in einem schwarzen Ballkleid noch mitgenommen werden wollte.
Ein Dutzend Leute beobachtete neugierig, wie Emily einstieg. Sie wirkte leicht aufgelöst und einzelne Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht. Ihre Schuhe und die Handtasche hielt sie in der einen Hand, während sie mit der anderen nach Münzgeld suchte. Ob die Leute im Bus sie etwa für die Braut, die sich nicht traut, hielten? Oder vielmehr für eine Prinzessin, die von einer Trauerfeier geflohen war? Sie wünschte sich auf einmal, ihr kleiner Bruder hätte sie über den Parkplatz sprinten sehen.
Während Emily zur hintersten Sitzbank des Busses durchging, kam ihr der Gedanke, dass eigentlich alle Menschen ihre Geschichte hatten.
Aber an diesem Abend war ihre Geschichte möglicherweise interessanter als die der anderen Menschen im Bus.
***
Sie waren zum Essen zu Chang gefahren und hatten dort ihre Lieblingsgerichte bestellt: Shrimps in Sesamkruste und frittierte Hühnerbrust mit Zitronensoße. Der Spruch in Jareds Glückskeks lautete: Eine große Überraschung wartet auf dich. Und bei Tim: Selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Als sie wieder zu Hause waren, erlaubte Tim Jared, länger als sonst aufzubleiben. Erstens, weil es Samstagabend war, und zweitens, weil er wusste, dass Debbie und Riddle bald kommen würden, und drittens, weil er der Meinung war, Jared sollte besser noch heute Abend alles erfahren, statt morgens dann plötzlich Riddle am Frühstückstisch sitzen zu sehen.
Aber mit Emily, das war noch mal was anderes.
Normalerweise musste sie um Mitternacht zu Hause sein, was ausnahmsweise – wenn sie darum bat – auch bis ein Uhr ausgedehnt werden konnte. Doch an diesem Abend war der Abschlussball und
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