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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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sagen, dass Sie wahrscheinlich im richtigen Moment die Augen zumachen, das ist mir nämlich auch passiert, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Diesmal habe ich nämlich die Probe miterlebt, und man will es eigentlich gar nicht sehen!“, verkündet Gottschalk nun dem Publikum. „Aber ich sage Ihnen, halten Sie die Augen offen, Sie werden ihnen nicht trauen!“
    Dann geht es los.
    20:36 Uhr. Ich brauche ein paar Sekunden, um mich in mich zurückzuziehen, mich zu sammeln. Thomas Gottschalk gibt mir alle Zeit der Welt: „Konzentrier dich, so lange du willst. Gib mir einfach ein Zeichen, dass du so weit bist“, sagt er. Was ich nur noch am Rande mitbekomme, ist ein Kommentar von Michelle Hunziker, bevor der erste Sprung ansteht. Mit belegter Stimme sagt sie: „Thomas, ich will’s nicht sehen!“ Und Gottschalk antwortet darauf: „Ich will’s auch nicht machen!“
    Dann geht es los. 62 Meter liegen zwischen mir und dem Smart, der als erstes Fahrzeug in der Reihe wartet. Fünf Autos. Vier Minuten. Die Zeit läuft.
    Ich gebe das Handzeichen. Das Vorderrad des ersten Wagens überquert die Markierung am Boden. Ich laufe los, mit dem linken Fuß zuerst. Ein Stoßgebet, durch meinen Kopf rauschen Fetzen von Psalm 23 im Schnelldurchlauf: Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Rechter Fuß, Körpergewicht nach vorne verlagern, abfedern, weiter:Linker Fuß vor, rasch Tempo gewinnen!Rechter Fuß vor, Arme hoch, linker Fuß, Einsprung, beidbeiniger Absprung – und hoch in den Salto!
    Dann bin ich über das Auto hinweg, habe mich mal wieder um mich selbst gedreht und lande wieder auf den Beinen – besser gesagt auf den Stelzen, die ich dann noch ausfedern lasse .
    Gut. Weiter.
    Applaus, Geschrei, Jubel, Schilder werden hochgehalten, meine Geschwister springen auf.
    20:37 Uhr. Die Zeit läuft. Nun folgt der zweite Wagen, ein Mini, gesteuert von meinem Freund Tim. Obwohl es eigentlich leicht zu überspringen ist, habe ich mit diesem Auto die meisten Schwierigkeiten. Liegt es am Heck, das so steil nach unten abfällt? Aber das ist beim Geländewagen auch so, den es als Letzten zu überspringen gilt. Jedenfalls habe ich schon bei den letzten großen Proben in Hannover immer wieder Probleme gehabt, genau dieses Fahrzeug zu meistern. Ich zähle an, Gebet, Tim fährt an, ich laufe los. Alles sieht erst mal gut aus, doch dann, nach dem dritten Schritt, breche ich ab; ich merke: Die Distanz stimmt nicht hundertprozentig.
    Kein Problem – ich habe ja noch drei weitere Versuche. Der nächste Wagen. Ein Ford Focus Kombi. Der ist größer als der Mini, macht mir aber keine Probleme. Den Blick des Fahrers suchen, Handzeichen, auf das Zeichen des Fahrers warten, anlaufen, springen – alles läuft perfekt. In einem langen Salto ziehe ich über den Ford hinweg. In der Luft höre ich das Aufheulen des Motors, als Chris Gas gibt. Jetzt weiß ich, dass ich drüber bin.
    Die Stimmung in der Halle kocht, Gottschalk und Hunziker im Gefühlsrausch zwischen Angst und Begeisterung, meiner Mutter steht nach jedem der Versuche Furcht und Erleichterung zugleich ins Gesicht geschrieben. Die Zuschauer toben auf den Rängen. Doch ich bleibe in meiner strengen Konzentration.
    Jetzt kommt das längste Auto. Ein silbergrauer Audi A8. Mein Vater fährt ihn. Obwohl es ein langes Fahrzeug ist, habe ich es stets als Sprungobjekt geschätzt. Der Audi ist nämlich das flachste der Autos, die ich heute überspringen will, und mein Vater fährt mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks.
    20:38 Uhr. Das vierte Auto. Thomas Gottschalk ruft in den Applaus: „So, ich glaube, jetzt kommt Vati, oder?“ Michelle Hunziker ist verwirrt, meint: „Nein, das vierte Auto ist Vati ... das ist das vierte Auto!“ Und Gottschalk spricht die beinahe prophetischen Worte: „Was für ein Gefühl muss das für den Vater sein, wenn ihm sein eigener Sohn vors Auto läuft!“
    Wieder der Psalm in meinem Kopf und meinem Herzen. Ich gebe meinem Vater das Zeichen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal ... er bestätigt es mir ... fürchte ich kein Unglück ... linker Fuß ... denn du bist bei mir ... rechter Fuß, linker Fuß, Einsprung, Absprung – hoch in den Salto!
    Ein Knall.
    Nacht.

2. Woher ich komme
    Samuel ist der Name eines Propheten im Alten Testament. In der Übersetzung ins Deutsche

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