Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
1.
Jana Hakon • Karitative Kommunikation
Wochenlang hatte sie stillgehalten und so getan, als sei alles in bester Ordnung, aber heute würde sie es endlich tun, und wie auch immer das alles ausgehen mochte, in dieses Zimmer würde sie nie wieder zurückkehren, zumindestens nicht lebend. Was für ein Unsinn, dachte sie, wenn alles schiefgeht und ich diese Nacht nicht überlebe, werden die wohl kaum so dämlich sein, meine Leiche in dieses Zimmer zu bringen.
Die Gelegenheit zur Flucht war da. Die Tür war nicht verschlossen. Sie war es seit Wochen nicht mehr. Heute jedoch wäre der Weg dahinter frei, abgesehen von den elektronischen Wächtern in den Wänden und Decken. Heute wären alle auf dieser Feier; und niemand würde auf die Bilder der Überwachungsaugen achten. Jana entspannte unter dem kalten weißen Tuch ihren nackten Körper und ließ Kraft in ihre Beine und Arme fließen. Das war eine ihrer täglichen Übungen, seitdem sie herausbekommen hatte, wie sie die Substanzen neutralisieren konnte, die man ihr in das Essen und in die Getränke mischte. Zwar hatten die Leute im Institut keine Ahnung davon, wer und was diese Frau war, aber sie gingen auf Nummer Sicher. Das war nicht sicher genug. Das chemische Zeug in der Nahrung hatte Jana betäubt und geschwächt, jedoch nicht so sehr, dass sie nicht in ihren wacheren Augenblicken an dem Problem hätte arbeiten können. Allerdings hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie lange sie dafür gebraucht hatte. Sie flüsterte sich lautlos ihren Namen zu. Sie war Ja‘ana K‘jonasoidt Hakon T‘Arastoydt. Sie hieß nicht Jana Hakon. Dieser Name stand auf ihrem Krankenblatt und an ihrer Zimmertür, er hatte nichts mit ihr zu tun. Ihr Blut war sauber, obwohl sie brav alles aß und trank, was man ihr vorsetzte.
Jana Hakon war eine Hülse, die sie abstreifen konnte, eine zeitweise nützliche Identität, die sie aber nicht zurückließ wie die beleidigenden chemischen Substanzen, die sie nach jeder Mahlzeit auspinkelte. Jana Hakon konnte noch nützlich sein. Ja‘ana glitt aus dem Bett und tanzte in einer einzigen gleitenden Bewegung durchs Zimmer. Unterwäsche, Hose, Bluse und Mokassins fanden wie von selbst den Platz, an den sie gehörten. Es war vollkommen dunkel, und trotzdem war sie perfekt angekleidet, als sie an der Tür anlangte, und immer noch in demselben Tanzschritt schlüpfte sie hindurch. Die Tür war wieder geschlossen, ehe ein Augenzwinkern vorbei war. Der Tanz trug ihren Leib wie schwerelos den Gang hinunter. Eine Hand bediente den Öffnungsmechanismus, ein schlanker Körper schwang sich zum Fenster hinaus.
Es war der dritte Stock, aus dem sie sprang, das hatte Ja‘ana gewusst. Sie hatte ebenso um den kleinen Abhang gewusst, der unter dem Fenster lag. Deswegen hatte sie sich vor Monaten entschlossen, genau dieses Fenster bei ihrer Flucht zu benutzen. Jana Hakon hätte sich beide Beine gebrochen, wäre schwer verletzt liegen geblieben. Ja‘ana dagegen kam unten an wie eine gespannte Feder. Die Energie des Aufpralls verwandelte sie in einen gleitenden Schwung, der sie in das Dunkel zwischen den Pflanzen trug, die vor dem Institutsgebäude wuchsen. Armselige, beschnittene Dinger, die nicht viel zu tun hatten mit den wilden ausgreifenden Ungeheuern, die sie in ihrer Heimat waren. Wo auch immer die sein mochte; Ja‘ana spürte, dass diese Büsche nur ein klägliches Echo von dem waren, was sie hätten sein können. Etwa auf dieselbe Weise, in der Jana nur ein schwaches und unvollkommenes Echo von Ja‘ana K‘jonasoidt Hakon T‘Arastoydt war.
Der oben im finsteren Zimmer begonnene Tanzschritt endete zwischen den Büschen, wo es fast genauso finster war. Ja‘ana erstarrte im Schatten der Pflanzen, lauschte auf verdächtige Geräusche und hörte den fröhlichen Lärm der Party. Auf dem Dach des Instituts perlten die munteren Orgelklänge einer seltsamen Musik, und Menschen redeten durcheinander, lachten und schwatzten. Dort oben trank man, scherzte und dachte nicht daran, die Überwachungsmaschinen des Gebäudes zu beachten. Jana dachte einen kurzen Augenblick an den Mann, der ihr so sehr geholfen hatte, die Chemie in ihrem Blut zu besiegen. Dabei war der selbst erst dabeigewesen, sich aus den Klauen einer der fürchterlichsten Drogen zu befreien, die es gab. Er hatte Ycorgan genommen, und meistens gab es auf diesem Weg kein Zurück. Hin und wieder hatte er da oben mit den anderen gefeiert.
Ja‘ana wusste genau, dass die unbestechlichen elektronischen
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