Samurai 5: Der Ring des Wassers (German Edition)
offen und nur durch einen großen Vorhang vor Wind und Wetter geschützt.
Am anderen Ende des Raums sah Jack einen mit einer Schürze bekleideten älteren Mann stehen. Offenbar war das der Besitzer und Wirt. Er war klein, hatte dürre Beine und schütteres Haar und redete erregt auf einen Gast ein, der einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machte. Er trug einen einfachen schwarzen Kimono, verziert mit einem Familienwappen in Form einer weißen Kamelienblüte, hatte einen struppigen Bart, wirre schwarze Haare und blutunterlaufene Augen. Auf dem Boden neben ihm lagen ein breitkrempiger Strohhut und zwei schartige Schwerter – eines davon lang, das andere kürzer. Zwar handelte es sich nicht um Jacks Schwerter, aber er kannte die Bedeutung eines solchen Schwertpaares: Ihr Besitzer bekleidete den Rang eines Samurai.
»Ihr müsst jetzt zahlen und gehen!«, sagte der Wirt entschieden zu dem Gast. Doch der Art nach zu schließen, wie er die Hände knetete, hatte er Angst vor dem Samurai. Zu Recht. Die Samurai waren die herrschende Klasse Japans und es konnte den Alten leicht den Kopf kosten, wenn er einem ihrer Vertreter nicht den gebührenden Respekt zollte.
Der Samurai antwortete nicht und nahm nur verärgert einen Schluck aus seiner Tasse.
»Ich rufe sonst die Polizei«, drohte der Wirt.
Der Samurai murmelte undeutlich vor sich hin und knallte eine Münze auf den Tisch.
»Das … reicht leider nicht«, sagte der Wirt mit aussetzender Stimme, denn sein Mut drohte ihn zu verlassen. »Ihr hattet seit gestern Abend drei Krüge Sake!«
Schnaubend suchte der Samurai in den Ärmeln seines Kimonos nach Geld. Zwei weitere Münzen kamen zum Vorschein, aber sie fielen ihm aus der Hand und rollten über den Boden.
Der Wirt sammelte sie hastig ein und wandte sich erneut an den Samurai. »Jetzt müsst Ihr gehen.«
Der Samurai starrte ihn finster an. »Ich habe … für den Sake bezahlt«, lallte er und drückte einen Krug mit Reiswein an die Brust. »Und jetzt trinke ich ihn auch … und zwar bis auf den letzten Tropfen.«
Der Wirt fügte sich nur ungern, aber der mörderische Blick in den Augen des Samurai hielt ihn davon ab, weiter auf seiner Forderung zu beharren. Unter Andeutung einer Verbeugung zog er sich zurück und beeilte sich, den einzigen anderen Gast des Teehauses, einen schnurrbärtigen Mann mittleren Alters, zu bedienen.
Jack überlegte gerade, wie er den Wirt auf sich aufmerksam machen sollte, da hörte er jemanden erschrocken nach Luft schnappen. Ein Mädchen, kaum älter als vierzehn, war neben dem Tresen aufgetaucht und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Sie hatte ein schmales Gesicht und schwarze, zu einem Knoten zusammengebundene Haare. In den zitternden Händen hielt sie ein Tablett mit klirrend wackelnden Teetassen. Jack fiel ein, dass er bestimmt einen furchtbaren Anblick bot, und versuchte sie mit einem Lächeln zu beruhigen. Sogar das tat ihm weh.
Das Mädchen stellte das Tablett ab und hatte sich rasch wieder gefasst. Sie bedeutete Jack, einzutreten und sich an einen Tisch zu setzen. Jack zögerte, unschlüssig, ob der Samurai von seiner Anwesenheit erfahren sollte. Doch das Mädchen winkte ihm wieder, führte ihn zu einem Platz und verschwand in der Küche. Wegen des Samurai hätte Jack sich nicht zu sorgen brauchen. Er war so betrunken, dass er nicht einmal den Kopf hob. Der andere Gast dagegen blickte überrascht herüber, weniger wegen Jacks erbärmlichen Zustands als vielmehr wegen seines ausländischen Aussehens, der blonden Haare und blauen Augen. Doch mit dem für Japaner typischen Taktgefühl verbeugte er sich nur kurz und setzte sein Gespräch mit dem Wirt fort.
Das Mädchen kehrte mit einer dampfenden Schale Nudelsuppe zurück, und obwohl ihm eben noch übel gewesen war, hatte Jack auf einmal furchtbaren Hunger. Er musste dringend etwas essen, um wieder zu Kräften zu kommen.
»Arigato gozaimasu« , sagte er und dankte dem Mädchen mit einer Verbeugung.
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Du sprichst Japanisch?«
Jack nickte. Das verdankte er seiner besten Freundin, Akiko. Nachdem es ihn nach Japan verschlagen hatte, hatte ihn zuerst der portugiesische Priester Pater Lucius im Japanischen unterrichtet. Er war allerdings schon bald nach Jacks Ankunft gestorben und Akiko hatte den Sprachunterricht fortgesetzt. Mit ihr hatte Jack stundenlang unter dem Kirschbaum im Garten von Akikos Mutter in Toba gesessen und die japanischen Sitten und Gebräuche kennengelernt. Auch
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