Sandkönige - Geschichten
blasphemisch und konnten es als Kunstwerke mit denen Tammerwens und RoHallidays aufnehmen, die die Große Kathedrale des heiligen Johannes in Neu-Rom schmücken.
Das Buch trug eine Imprimatur, aus der hervorging, daß es von Lukyan Judasson, dem ersten Gelehrten des Ordens des heiligen Judas Iskariot, genehmigt worden war.
Es hieß Der Weg von Kreuz und Drachen.
Ich las es, während die Wahrheit Christi durch die Sterne glitt, und machte mir anfangs ausgiebig Notizen, um die Häresie, die ich bekämpfen sollte, besser zu verstehen; später jedoch war ich gefesselt von der seltsamen, verschlungenen und grotesken Geschichte, die es erzählte. Seine Sprache war voller Leidenschaft, Kraft und Poesie.
So geschah es, daß ich zum erstenmal der bemerkenswerten Gestalt des heiligen Judas Iskariot begegnete, eines schwierigen, ehrgeizigen, widersprüchlichen, doch insgesamt außerordentlichen Menschen.
Er war als Sohn einer Hure am selben Tag wie der Erlöser in Bethlehem in dem sagenumwobenen Stadtstaat Babylon geboren worden und verbrachte seine Kindheit auf Straßen und in Gossen, bot seinen Körper feil, wenn es nötig war, und betätigte sich, als er älter wurde, als Zuhälter. Als Jugendlicher fing er an, mit den dunklen Künsten zu experimentieren, und noch ehe er zwanzig Jahre alt war, war er ein geschickter Schwarzkünstler. Zu jener Zeit wurde er Judas der Drachenbändiger, der erste und einzige Mensch, der der furchteinflößendsten von Gottes Kreaturen, der großen geflügelten Feuerechse von Alt-Erde, seinen Willen aufzwingen konnte. Das Buch gab ein großartiges Gemälde von Judas wieder, wie er in einer riesigen, düsteren Höhle mit feuersprühenden Augen eine glühende Peitsche schwingt, um einen sich aufbäumenden grün-goldenen Drachen in Schach zu halten. Unter seinem Arm sieht man einen Korb mit leicht geöffnetem Deckel, aus dem die mit winzigen Schuppen versehenen Köpfe von drei Drachenjungen hervorblicken. Ein viertes Drachenbaby krabbelt ihm am Ärmel hinauf. Diese Szene spielte sich im ersten Kapitel seines Lebens ab.
Im zweiten Kapitel war er Judas der Eroberer; Judas der Drachenkönig; Judas von Babylon, der große Usurpator. Auf dem größten seiner Drachen reitend, eine eiserne Krone auf dem Haupt und ein Schwert in der Hand, machte er Babylon zur Hauptstadt des größten Weltreiches, das die Alte Welt erlebt hat, ein Königreich, das sich von Spanien bis Indien erstreckte. Er herrschte von einem Drachenthron inmitten der Hängenden Gärten aus, die er hatte anlegen lassen, und dort saß er auch, als er über Jesus von Nazareth richtete, jenen aufrührerischen Propheten, der blutend und in Ketten vor ihn gezerrt worden war. Judas war kein geduldiger Mann, und er ließ Christus noch mehr bluten, ehe er mit ihm fertig war. Und als dieser seine Fragen nicht beantworten wollte, ließ er ihn voller Verachtung wieder auf die Straße werfen. Doch vorher befahl er seinen Wachen, Christus die Beine abzuhauen. »Heiler«, sagte er, »heile dich selbst.«
Dann kam die Reue, die Vision in der Nacht, und Judas Iskariot gab seine Krone, seine dunklen Künste und seine Reichtümer auf, um dem Mann zu folgen, den er zum Krüppel gemacht hatte. Gehaßt und verhöhnt von jenen, die von ihm tyrannisiert worden waren, wurde Judas zu den Beinen des Herrn, und ein Jahr lang trug er Jesus auf dem Rücken in die entferntesten Gegenden des Königreiches, welches er einst regiert hatte. Als Jesus sich schließlich selbst heilte, ging Judas an seiner Seite, und von jener Zeit an war er sein getreuer Freund und Berater, der erste und vorderste der zwölf. Schließlich machte Jesus dem Judas das Geschenk der Zungen, rief die Drachen, die Judas einst weggeschickt hatte, zurück und segnete sie und schickte seinen Jünger auf eine einsame Mission über die Meere, »um mein Wort dort zu verbreiten, wohin ich nicht gehen kann«.
Es kam der Tag, da die Sonne dunkel wurde am Mittag und die Erde bebte, und Judas schwang seinen Drachen auf plumpen Flügeln herum und flog über die rasende See zurück. Doch als er in der Stadt Jerusalem ankam, fand er Christus tot am Kreuz vor.
In jenem Augenblick wankte sein Glaube, und in den nächsten drei Tagen fegte der große Zorn von Judas wie ein Sturmwind über Alt-Erde. Seine Drachen rissen den Tempel in Jerusalem nieder, vertrieben die Einwohner aus der Stadt und zerschlugen die Machtzentren in Rom und Babylon. Und als er dahinterkam, wie jener mit Namen Simon, genannt Peter,
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