1262 - Die Sauger
Tina Steene saß auf dem Bett und glaubte, in einer verkehrten Welt zu sein. Jedenfalls war das Krankenzimmer neu für sie. In einem Krankenhaus hatte sie noch nie gelegen, abgesehen von ihrer Geburt. Aber daran konnte sie sich natürlich nicht erinnern.
Vier Patienten befanden sich in einem Zimmer, das nicht eben durch seine Größe auffiel. Zwei schliefen und schnarchten. Es waren alte Menschen, die mit einem Bein schon im Grab standen. Die älteste Patientin konnte nicht schlafen. Man hörte sie stöhnen. Kein Laut, der Mut machte. Er hörte sich an, als läge die Frau wirklich in den allerletzten Zügen, aber sie starb nicht, denn sie wachte zwischendurch immer wieder auf und sprach sinnlose Worte.
»Scheiße!«, flüsterte Tina vor sich hin. Sie hätte das Krankenhaus am liebsten verlassen, aber das war nicht möglich. Sie musste zumindest bis zum Morgen bleiben. Da wollte der Arzt noch mal nach ihren Verletzungen sehen.
Für Tina Steene waren das Wunden und keine Verletzungen. Vielleicht auch etwas tiefere Kratzer, doch sie war einfach nur geschockt gewesen, und so hatte sie sich nicht gewehrt, als man sie vor ein paar Stunden eingeliefert hatte. Man hatte die Verletzungen behandelt. Dann war Tina verpflastert worden. An der Stirn, auf den Haaren, an den Armen zeichneten sich die Pflaster ab. Sie fühlte sich nicht gut und nicht schlecht. Ihr Zustand lag irgendwo in der Mitte, aber länger als bis zur Visite des Arztes wollte sie auf keinen Fall bleiben. Auch wenn ihre Kleidung schmutzig war, sie würde froh sein, wenn sie dieses Krankenhaushemd ausziehen konnte.
Die Uhr hatte man ihr gelassen. Als sie auf das Zifferblatt schaute, stellte sie fest, dass die vierte Morgenstunde längst angebrochen war.
Welch eine Nacht!
Nie hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren konnte. Es war auch nicht zu erklären. Es war einfach verrückt und abgefahren, aber es war auch grauenhaft und unerklärlich gewesen. Ein schlimmer Albtraum, der leider keiner gewesen war, sondern verdammte Realität.
Dabei hatte der Abend so normal begonnen. Sie hatte ein Bad genommen, was sie sehr gern tat. Im warmen Wasser konnte sie so herrlich entspannen, sie war auch voll zufrieden gewesen, wäre da nicht etwas gewesen, das sie bis an die Grenze belastet hätte.
Es war das Blut gewesen. Es war aus der Decke und den Wänden gedrungen. Es war in das Wasser gefallen, gegen sie getropft und hatte sie in wahnsinnige Panik versetzt. Sie hatte sich nichts erklären können und war nur aus dem Bad gerannt. Zudem hatte sie über sich in der leeren Wohnung Geräusche gehört, denen sie schließlich auf den Grund gehen wollte.
Sie war hoch gelaufen und hatte die leere Dachwohnung betreten. Sie hatte allerdings auch geglaubt, verrückt zu werden, denn das, was sie sah, war einfach schrecklich gewesen.
Ein Monster hatte sich dort eingenistet. Und es hatte eine Gestalt angenommen, die zwar aussah wie ein Mensch, aber für sie keiner war, denn Tina hatte ihn mehr mit einer geschlechtslosen Porzellanpuppe verglichen.
Sie war gerannt. Die Angst hatte sie regelrecht aus dem Haus gepeitscht, aber das Monster hatte die Verfolgung aufgenommen, weil es an ihr Blut heranwollte.
So weit war es nicht gekommen, zwei Polizisten hatten eingegriffen, wobei einer sein Leben verloren hatte. Er war unter den Attacken des Monsters gestorben.
Aber auch das Monstrum selbst war verbrannt. Dafür hatte wieder eine dieser seltsamen Gestalten gesorgt, die plötzlich mit einem blonden Mann erschienen war. Sie kannte ihn nicht, aber sie hatte gehört, dass er ein Polizist war. Sie hätte ihn gern gesprochen, um ihm viel zu erzählen, doch der Transport ins Krankenhaus war wichtiger gewesen. Sie kannte nicht mal den Namen des Mannes, aber sie glaubte auch, einen Chinesen in seiner Begleitung gesehen zu haben.
Tina schüttelte den Kopf. Die Erinnerung an das Geschehen hatte bei ihr eine Gänsehaut hinterlassen. Sie wusste nicht mehr weiter. Sie saß auf dem Bett und plötzlich begann sie zu weinen. Die Tränen strömten aus ihren Augen, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können. Es war alles so anders geworden. Sie musste jetzt davon ausgehen, dass ihr Leben einen Knick bekommen hatte.
Ich bin eine dumme Gans!, schoss es ihr durch den Kopf. Warum weine ich denn jetzt? Das ist doch verrückt…
Sie riss sich zusammen, obwohl es ihr schwer fiel. Auf dem Nachttisch lagen die Papiertaschentücher, die ihr eine Schwester gebracht hatte. Sie putzte die Nase, rieb
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