Sandra und das Haus in den Hügeln
„Entschuldigt, wir müssen weg!“ und holte Joschi aus der Schlange vor der Getränkeausgabe.
Sie rannten zum Weihnachtsmarkt.
Die Menschenmenge, die sie dort antrafen, war gewaltig. Weihnachtslieder und Stimmengewirr übertönten die Tamburinklänge.
„Siehst du sie?“ fragte Sandra.
„Keinen Zipfel von ihnen“, erwiderte Joschi.
Sie erkundigten sich am Klassenstand, der erfreulicherweise ebenfalls von Publikum belagert war, ob die Leute von der Sekte vorbeigekommen seien.
„Hab sie nicht bemerkt. Bei dem Betrieb!“ antwortete Ingrid und zählte Wechselgeld in die ausgestreckte Handfläche eines Christkindlkäufers.
Sandra und Joschi kämpften sich weiter durch die Gassen zwischen den Ständen.
Nach einer Weile näherten sie sich einem Menschenauflauf an der nördlichen Rückseite des Florinsmarktes, der ihnen verdächtig vorkam.
Der Florinsmarkt, auf dem dienstags, donnerstags und samstags Wochenmärkte abgehalten wurden, war ein quadratischer Platz. Er war an allen vier Seiten von Häuserzeilen begrenzt. Zwei Geschäftspassagen führten zwischen den Häusern auf der Südseite zu einer Hauptgeschäftsstraße, und eine Torwegpassage führte auf der Nordseite über einen Treppenaufgang zur höher gelegenen Marienkirche. Auf der Westseite mündete der Florinsmarkt in die Fußgängerzone der Langenstraße und auf der gegenüberliegenden Ostseite in eine Geschäftsstraße, die Klosterallee hieß.
Während Sandra und Joschi, Leute anrempelnd und auf fremde Füße tretend, sich zu der Menschenansammlung durcharbeiteten, hörten sie im Näherkommen das schrille Gezeter einer Marktfrau. „Schmeißt mir meinen Stand nicht um! Pack! Verbrecher! Jugendverführer! Heilige Jungfrau, meine Würste
„Hört sich bekannt an“, schnaufte Joschi über die Schulter Sandra zu.
„Verschwindet hier! Ja, wo gibt’s denn das! Schlagt euch woanders! Also, jetzt ist’s aber genug! Weg hier, sage ich! Fort mit euch, aber schnell!“ keifte die Frau.
„Gleich schreit sie nach der Polizei!“ rief Sandra Joschi zu.
Sie hatte ihre Vermutung noch kaum ausgesprochen, als die Stimme der Händlerin, vor Wut und Entsetzen wie eine Sirene auf- und abschwellend, ertönte: „Polizei! Polizei! Man hat mich beraubt! Hilfe, Polizei!!!“
„Dumme Gans! Na, so was!“ donnerte ein Mann, den Sandras Arm im Vorbeieilen versehentlich so hart am Ellbogen getroffen hatte, daß sein Pappteller mitsamt Currywurst in den Straßendreck fiel.
„Entschuldigung!“ murmelte Sandra zu dem Mann zurück.
Als sie sich wieder nach vorn wandte, streifte ihr Blick eine Gestalt, die eilig der Torwegpassage zustrebte. Der Sektenführer!
Sandra schob sich nach vorn, bekam einen Zipfel von Joschis Parka zu fassen und rief, daran zerrend: „Der Sektenführer verduftet! Ich laufe ihm nach! Treffpunkt unser Stand!“
Bevor Joschi noch etwas fragen konnte, war Sandra fort.
Einige Augenblicke später sah Joschi, wie sie zwischen zwei Verkaufsbuden über dort am Boden liegende Leitungskabel hinwegsprang. „Sandra!“ schrie er und wollte ihr nachlaufen.
Doch da ertönte eine Polizeisirene. Neugierige eilten von allen Seiten herbei. Die Menschenmauer vor dem Wurstspe-zialitätenstand wankte. „Halleluja!“ riefen die Sektenanhänger. Joschi fand sich plötzlich in der Menge eingekeilt und nach vorne geschwemmt.
Es gab für ihn kein Durchkommen mehr.
Er sah nur noch, wie Sandra im Torwegaufgang zur Marienkirche verschwand.
Als er sich endlich aus der Menschenmenge befreit hatte und Sandra folgen konnte, fand er sie nicht mehr.
Auf dem Parkplatz hinter der Marienkirche brauste ein schmutzverkrusteter, grauer Kleinbus davon. Joschi meinte einen Augenblick lang, durch das Heckfenster Sandras Kopf und den hochgestellten Kragen ihrer Kaninchenjacke zu sehen.
Doch er schalt sich dieser Vermutung wegen selbst verrückt. Kaninchenjacken waren in diesem Winter „in“, und dunkle Haare hatten viele Mädchen.
Er kehrte zum Florinsmarkt zurück, kaufte sich eine Stange Zuckerwatte und schlenderte zum Klassenstand, um dort auf Sandra zu warten.
Von dem Moment an, als Sandra den Sektenführer von seiner Gruppe fortgehen sah, handelte sie ganz instinktiv und ohne Überlegung.
Sie beobachtete, wie der Bärtige in Begleitung eines Mädchens eilig im. Schatten des Torbogens verschwand, und sie folgte ihnen ohne Zögern.
Leider wurde sie dabei behindert von den vielen Kisten, Kartons, Mopeds, Müllstapeln und anderen sperrigen Sachen, die von den
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