Sanfte Eroberung
andauern, bis weit nach Mitternacht. Lily und Roslyn jedoch hatten sich bereits vor einer Weile in aller Abgeschiedenheit von Arabella verabschiedet, wobei einige Tränen geflossen waren.
Lily empfand es als überaus schmerzlich, Arabella an einen Ehemann zu verlieren, und leider war der Abend noch strapaziöser geworden, weil ihre freundliche Gönnerin, Lady Winifred Freemantle, sich nach Kräften bemühte, auch die anderen beiden Loring-Schwestern mit heiratswürdigen Kandidaten zu verkuppeln. Als die Schwestern vor einigen Jahren ohne einen Penny und auf sich allein gestellt hergekommen waren, hatte Winifred ihnen die Mittel zur Verfügung gestellt, um ihre eigene Akademie für junge Damen zu gründen, in der sie Töchter reicher Kaufleute auf das Leben in gehobenen Kreisen vorbereiteten. Heute aber hatte Winifred nichts unversucht gelassen, Lily dem guten Freund von Marcus aufzudrängen, dem Marquess of Claybourne.
Es war ihr schließlich, sehr zum Verdruss Lilys, gelungen, seine Lordschaft quasi zu nötigen, Lily zum Tanz aufzufordern.
»Sie werden entzückt sein, eine solch glänzende Tanzpartnerin wie Miss Lilian zu haben, My Lord, dessen bin ich gewiss«, hatte Winifred ihm versichert.
»Entzückt und geehrt«, erwiderte Claybourne, der Lily mit einem Lächeln bedachte.
Und leider hatte sie sogleich gefühlt, wie ihre Wangen heiß wurden. Während ihre verräterische Freundin sich mit einem selbstsicheren Lächeln abwandte, hatte Lily dagestanden und Claybourne angestarrt, gleichermaßen verwirrt wie wütend.
Der Marquess war ein großer beeindruckender Mann mit einer fesselnden Ausstrahlung. Sein Haar war hellbraun, seine Augen von einem goldgesprenkelten Haselnussbraun und sein Gesicht so atemberaubend männlich, dass unzählige Damenherzen ins Flattern gerieten.
Leider stellte Lily fest, dass sie sich von diesen Unzähligen nicht unterschied. Vielmehr war sie sich ihres ärgerlich beschleunigten Pulses überaus bewusst, als sie vor ihm stand und sich noch an ihre Wut über Winifreds Einmischung zu klammern versuchte. Es war so beschämend, dem sehr vermögenden, sehr begehrenswerten Marquess vorgeführt zu werden wie eine junge Stute auf der Pferdeauktion!
Also hatte Lily sich stumm von Lord Claybourne auf die Tanzfläche des Ballsaals führen lassen. Und als das Orchester die ersten Takte eines Walzers anstimmte, begab sie sich höchst widerwillig in Lord Claybournes Arme. Ihr war nicht wohl dabei, ihm so nahe zu sein, seine Wärme und seine Stärke zu spüren. Ebenso wenig behagte ihr, wie deutlich sie seinen Körper fühlte oder die elegante Geschmeidigkeit, mit der sie im Rhythmus der Musik über das Parkett schwebten. All das hatte sie noch bei keinem Mann zuvor wahrgenommen. Eigentlich hatte sie bisher an Männern nur bemerkt, welche Neigung zur Brutalität sie besaßen, wie groß ihre Fäuste waren ...
»Missfällt Ihnen das Tanzen an sich, Miss Loring?«, hatte Claybourne schließlich das Schweigen zwischen ihnen gebrochen, »oder haben Sie etwas dagegen, mit mir zu tanzen? «
Lily war erschrocken. »Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas gegen Sie haben könnte, My Lord?«, hatte sie gefragt.
»Nun, das mag an Ihrer angsteinflößenden Miene liegen.«
Wieder fühlte Lily, wie sie rot wurde, und sie rang sich ein höfliches Lächeln ab. »Verzeihen Sie. Tanzen gehört nicht zu meinen bevorzugten Zeitvertreiben.«
Seine Bernsteinaugen wurden halb von seinen zusammengezogenen Brauen beschattet. »Sie beherrschen es dennoch recht gut. Ich gestehe, dass ich überrascht bin, wie gut.«
Sie sah erstaunt zu ihm auf. »Warum überrascht es Sie?«
»Weil Marcus behauptet, Sie seien ein Hitzkopf und ein Wildfang. Soweit ich von ihm hörte, ist Ihnen ein rasanter Galopp über das freie Feld weit lieber als ein öder Abend im Ballsaal.«
Ob dieser sehr zutreffenden Bemerkung musste Lily unweigerlich lachen. »Reiten ist mir zweifellos lieber als Walzertanzen, My Lord, obwohl ich >Hitzkopf< ein wenig übertrieben scharf finde. Marcus hält mich offenbar für einen, weil ich häufiger mit ihm stritt, als er um Arabella warb. Wie dem auch sei: Ich gestehe freimütig, ein Wildfang zu sein, ausgenommen ich lehre an unserer Akademie und gebe den jungen Damen ein gutes Beispiel. Oder bei Anlässen wie diesem, wenn es mir obliegt, um meiner Schwestern willen Wohlverhalten zu demonstrieren. Wenn ich hingegen ehrlich bin, muss ich gestehen, dass es mir sogar eine gewisse Freude bereitet, den besseren
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