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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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der Tennishalle! Ja, das ist ärgerlich,
    aber nasse Füße sind noch lang nicht das Ende der Welt.
    Die Leute freuen sich immer zu früh auf den Untergang,
    wie Selbstmörder, die ein Alibi suchen, und dabei
    verlieren sie dann die Übersicht und die Nerven.
     
    Europa hat schon ganz andere Versuche überstanden, den Kontinent zu uniformieren. Allen gemeinsam war die Hybris, und keinem von ihnen war ein dauerhafter Erfolg beschieden. Auch der gewaltlosen Version eines solchen Projekts kann man keine günstige Prognose stellen. Allen Imperien der Geschichte blühte nur eine begrenzte Halbwertzeit, bis sie an ihrer Überdehnung und an ihren inneren Widersprüchen gescheitert sind.

IX
Eine Unterhaltung zwischen A, Monsieur de *** aus der Kommission, und B, dem Verfasser, in der Fattoria del Chianti an der Brüsseler Rue Archimède
    A: Wie ich höre, sind Sie unserer Arbeit nicht sehr wohlgesinnt.
    B: Ich danke Ihnen, daß Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu reden. Ich weiß, daß Sie ein sehr beschäftigter Mann sind.
    A: Um so mehr freue ich mich über die Abwechslung, die ich mir von Ihnen verspreche. Sie sollten den Ossobuco probieren, den man hier serviert. Er ist vorzüglich. Übrigens habe ich mir sagen lassen, daß Sie die Union mit einer Chimäre vergleichen. Ich wüßte gern, wie Sie auf diese Idee kommen. Wenn ich nicht irre, war dies bei den Griechen ein feuerspeiendes Ungeheuer, dem zur Strafe für seine Verwüstungen Blei in den Rachen gegossen wird. So steht es wenigstens in der Ilias. Ich muß gestehen, daß ich Ihren Vergleich reichlich übertrieben finde.
    B: Sie urteilen wie ein Altphilologe. Das habe ich in den Korridoren von Berlaymont nicht erwartet.
    A: Als ich jung war, hat man diese Dinge noch in der Schule gelernt.
    B: Ich will eher darauf hinaus, daß die Chimäre ein Mischwesen ist: vorn ein Löwe, hinten eine Schlange und in der Mitte eine Ziege. Auch den Genetikern und den Medizinern ist dieser Begriff vertraut. Aber darauf kommt es mir nicht an. Ich habe mich lieber bei Ihren französischen Klassikern umgesehen, weil ich darauf gefaßt war, daß Ihnen mein Vergleich nicht einleuchtet. Brillantes chimères , heißt es bei Corneille, tendres chimères beiRousseau. Damit sind allerlei schöne Phantasiegebilde gemeint. Auch im Deutschen muß das Wort durchaus kein Monstrum bedeuten, sondern kann eher einen Traum oder eine Vision meinen, allerdings, das gebe ich zu, bezeichnet es auch etwas, was unausführbar und abenteuerlich ist, ein Trugbild oder ein Hirngespinst. Das kommt der Sache schon näher. Und was den vulkanischen Zug der Chimaira angeht, so habe ich nie versäumt, das gewaltlose Vorgehen der EU zu betonen. Wenn es dort jemals feurig zuging, so muß das lange her sein. Die Krater, die hier in der Nachbarschaft zu besichtigen sind, sind kühl und feucht. Es sind bloß Baugruben für neue Bürogebäude.
    A: Ein Zeichen dafür, daß wir noch am Anfang stehen. Die Union ist sehr jung. Sechzig Jahre sind, historisch gesehen, nur ein Intermezzo; und das, was Sie, oft ganz zu Recht, beklagen, sind die Irrungen und Wirrungen ihrer Adoleszenz, wenn nicht gar ihrer Pubertät.
    B: Oder Anzeichen von Arterienverkalkung.
    A: Sie tun uns Unrecht. Immer reden Sie von Brüssel. Kann es sein, daß Sie unter einem gewissen antiinstitutionellen Affekt leiden?
    B: Das ist möglich. Aber an einer Therapie, um dieses Gefühl loszuwerden, liegt mir offen gestanden wenig.
    A: Nur – warum reiten Sie dann ausgerechnet auf der Europäischen Union herum? Warum vermeiden Sie es, von Rom, Budapest oder Dublin zu sprechen? Diese nationalen Regierungen sind doch um kein Haar besser! Ihre Bürokratien lassen nichts zu wünschen übrig. An Borniertheit und an unverständlichen Worthülsen fehlt es weder hier noch dort. Ich will gar nicht von den Intrigen und von der Korruption reden, denen ich täglich begegne. Die Lobbyisten sind, wenn Sie mir ein offenes Wort gestatten, überall wie die Schmeißfliegen, auch in Ihrem Land. Schauen Sie sich doch einmal Ihr Steuersystem genauer an, Ihre besinnungslosen Gesundheits- und Schulreformen. Alles, was Sie uns vorwerfen, werden Sie wiederfinden, wenn Sie in die siebenundzwanzig verschiedenen nationalen Spiegel blicken, die dieser Kontinent bereithält.
    B: Immerhin haben wir die Leute, die uns regieren, selbst gewählt, und solange wir an unseren Verfassungen festhalten, können wir sie auch wieder loswerden. Das ist hier, wo Sie tätig sind, nicht der Fall.
    A:

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