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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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es im Sinne Gottes, daß mir der meine nicht genügt, daß ich den rasenden Wunsch habe, zu töten, ehe man mich tötet?
    Der Pfarrer wußte, daß Gott fern war. Er hat zwar verhindert, dachte er, daß ich gestern nach dem Krankenwagen telefoniert habe, daß ich geflohen bin, aber das war eine seiner nonchalanten Bewegungen, seiner unberechenbaren Rücksichtslosigkeiten, mit denen er ihn, Helander, noch tiefer ins Unglück stieß. Gott konnte manchmal fast höhnisch zeigen, daß er noch da war, aber er stand den Seinen nicht bei. Wenn er den Seinen beistehen würde, dachte Helander, dann hätte er die Anderen nicht siegen lassen. Gott war nicht die feste Burg des Kirchenlieds, Gott war ein Spieler, der das Reich den Anderen überließ, wenn es ihm gefiel, und vielleicht würde er es, einer Laune gehorchend, eines Tages wieder einmal den Seinen in die geöffneten Hände werfen.
    Helander erkannte, daß er sich im Aufstand gegen Gott befand. Er wurde sich klar darüber, daß er töten wollte, weil er auf Gott wütend war. Selbstmord war keine Antwort auf die Unbegreiflichkeit Gottes. Während der Pfarrer die Pistole noch unschlüssig in seinen Händen hielt, begriff er, daß man einen Gott, der den Seinen nicht beistand, züchtigen mußte. Du sollst nicht töten, hatte der ferne hohe Herr erklären lassen. Aber nicht einmal Moses hatte sich an dieses Gebot gehalten. Moses ist jähzornig gewesen, wie ich, dachte Helander, und von Moses Zorn und altem Schamanenglauben besessen, dachte er: Ich werde töten, um Gott zu züchtigen.
    Als er die Patronen in die Trommel schob, hörte er das Geräusch eines Autos. Wieder schwang er sich auf seinen Krükken ans Fenster, es ging diesmal etwas langsamer, weil er sich mit der rechten Hand an den Griff der Krücke klammern und zugleich mit ihr die Pistole halten mußte und weil ihn der Schmerz im Bein feurig durchfuhr, aber er gelangte hin und sah, daß eine große schwarze Limousine vor dem Seitenportal der Kirche hielt. Sie hielt, und während der Motor noch lief, stiegen vier Männer aus, während der Chauffeur sitzen blieb, zwei von ihnen trugen schwarze Uniformen und hohe Stiefel, und die beiden anderen waren in Zivil, sie hatten schwarze, zweireihige Mäntel an und sie trugen Hüte. Das Gesindel, dachte der Pfarrer. So also sieht das Gesindel aus: Fleisch in Uniformen, Teiggesichter unter Hüten. Die Szene spielte sich genauso ab, wie er sie sich hundertmal vorgestellt hatte; weil er sie vorausgesehen hatte, war die Kirche offen: er hatte sie heute nacht nicht abgeschlossen, damit sie sogleich eintreten und sich davon überzeugen konnten, daß der ›Lesende Klosterschüler‹ fort war, denn er wußte, daß sie nicht mit ihm, dem Pfarrer, verhandeln wollten, sie waren so frech wie feige, sie kamen im Morgengrauen, auf leisen Limousinensohlen, sie scheuten die Auseinandersetzung und den Tag, sie kamen leise und wollten leise und wortlos verhaften, sie selbst besaßen keine Sprache und sie haßten nichts mehr als die Sprache derer, die sie verhafteten. Ihr Haß auf die Sprache war der Grund, warum sie ihre eigene Stummheit nicht anders erlösen konnten als in den Schreien der Gefolterten. Zwischen Limousinen und Folterbänken vegetierte das stumme Gesindel schwarz dahin.
    Der Pfarrer beobachtete, wie sie in die Kirche hineingingen, sie blieben eine ganze Weile drin. Als sie wieder herauskamen, stellten sie sich zu einer Gruppe zusammen, sie berieten miteinander, und einer von ihnen deutete auf das Pfarrhaus. Helander hatte sich in einem gewissen Abstand vom Fenster gehalten, so daß sie ihn unmöglich sehen konnten. Erst als sie herüberkamen und er wußte, daß sie in wenigen Sekunden das Haus betreten würden, lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Fenster. Er erwartete sie. Er hörte sie klingeln und klopfen. Helander lehnte die rechte Krücke gegen die Wand, er stützte sich auf das Fensterbrett und behielt nur noch die linke Krücke unter der Achsel. Unten öffnete die aus dem Schlaf gerissene Haushälterin, der Pfarrer vernahm einen kurzen, stoßartigen Wortwechsel, und dann hörte er das Gesindel heraufkommen. Er lehnte sich stärker gegen das Fenster, das für ihn jetzt nicht mehr das Fenster war, sondern die Wand des Seitenschiffs der Kirche, die riesige rote Ziegelwand von St. Georgen, und er hob langsam die Pistole, die Wand der Kirche im Rücken.
    Und dann war auf einmal der Traum von heute nacht wieder da, das Hotelzimmer in Lille und die Selbstmörderin, der

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