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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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aus dem Staub machen, wenn er es getan hat. Was aber treibt ihn an, das Richtige zu tun? fragte sich der Pfarrer, und er gab sich selbst die Antwort: Das Nichts treibt ihn an, das Bewußtsein, in einem Nichts zu leben, und der wilde Aufstand gegen das leere, kalte Nichts, der wütende Versuch, die Tatsache des Nichts, dessen Bestätigung die Anderen sind, wenigstens für Augenblicke aufzuheben.
    Ich aber, dachte Helander, ich werde mich nicht aus dem Staub machen können. Irgendein verrückter Eigensinn läßt mich noch an jenen Herrn glauben, der sich in Honolulu oder auf dem Orion befindet, ich glaube an die Ferne Gottes, aber nicht an das Nichts, und deshalb bin ich eine Persönlichkeit, dachte er höhnisch, ich falle auf, und weil ich auffalle, weil ich mich unterscheide, werden mich die Anderen erwischen. Wir unterscheiden uns voneinander, dieser Mensch, der sich Gregor nennt, und ich: er ist zum Nichts verurteilt und ich zum Tode.
    Er sah, wie Gregor sein Rad nahm und es vom Bürgersteig vor dem Pfarrhaus herunterschob. Dann sah er den jungen Mann zu den Fenstern hinaufblicken, und er schob sich ganz nah an das Fenster heran, damit Gregor ihn bemerken konnte, wie er hinter dem Fenster stand und auf eine Botschaft wartete. Die Botschaft kam: Gregor sah sich sichernd um, ob noch jemand auf dem kleinen Platz ging, aber der war leer, und der Pfarrer sah, wie Gregor fröhlich grinste und eine horizontale Bewegung mit der rechten Hand machte, eine abschließende und triumphierende Bewegung, einen Strich, den man zog, ehe man eine Summe schrieb.
    Der Pfarrer lachte, er machte seine linke Hand von der Krücke los und hob sie zu einem Winken, aber da hatte Gregor sich schon auf sein Fahrrad gesetzt und war losgefahren, er sah sich nicht mehr um, und Helander sah ihn nach wenigen Sekunden hinter dem Seitenschiff von St. Georgen verschwinden. Er war weg und würde nie wiederkommen. Das Lachen erstarrte auf Helanders Gesicht, als er dachte: ich bin allein. Einen Augenblick lang erinnerte er sich daran, daß die Figur nun gerettet war, daß seinem kleinen Gottesschüler nichts mehr geschehen konnte, und flüchtig dachte er auch an das von ihm kaum wahrgenommene jüdische Mädchen, aber er dachte daran wie an ferne Erinnerungen, die vor der Angst, die ihn plötzlich überfiel, nicht mehr bestanden. Er ertappte sich dabei, zu wünschen, Gregor möge noch irgendwo in der Nähe sein und wenigstens zusehen, wenn die Anderen kämen, ihn zu holen.
    Er tappte auf den Krücken zu seinem Schreibtisch, öffnete das rechte Seitenfach und nahm die Pistole heraus. Er hatte sie von einem Onkel geerbt, ein altes schönes Stück mit fein gravierten Beschlägen und einem Elfenbeingriff. Helander zog den Sicherungsstift heraus und drehte die sechsschüssige Trommel, in der drei Patronen steckten. Immer hatte er das leise Klicken geliebt, mit dem sich die Trommel weiterbewegte. Er hatte ein paarmal auf dem Lande probeweise mit der Pistole geschossen, um ihren Rückschlag kennenzulernen, der ziemlich stark war; aber nach ein paar Schüssen hatte er die Reaktionen der Waffe herausgehabt und sich eingeschossen, der Pfarrer war ein guter Schütze. Und dann hatte er sie in seinen Schreibtisch gelegt, ein wenig bedauernd, - ein Pfarrer hatte keine Verwendungsmöglichkeiten für eine Pistole. Aber er hatte sie manchmal gepflegt, mit bläulichem Waffenfett, und er hatte die Schachtel mit den Patronen nie weggeworfen.
    Mechanisch griff er nach der Schachtel, um die Trommel nachzufüllen, als er innehielt. Ist es denn schon entschieden? dachte er. Brauche ich nicht mehr darüber nachzudenken, ob vielleicht eine einzige Patrone genügen würde? Gibt es keine Entscheidung mehr: zwischen der einen Patrone gegen mich und den sechs Patronen gegen die anderen? Ich habe mich gegen die Folter entschieden, gegen die Peitschen und Gummischläuche, gegen das Martyrium, vielleicht würde ich die Folter durchstehen, obwohl es ganz unwahrscheinlich ist, mit dieser Wunde am Beinstumpf, aber was ich nicht durchstehen kann, ist der Gedanke der Folter, ich bin ein alter stolzer Mann, und der Gedanke der Folter ist für mich unerträglich, der Gedanke, daß am Ende meines Lebens meine Persönlichkeit zerbrechen würde. Sie würden mich zerbrechen wie dürres Holz. Aber muß ich töten, ehe ich getötet werde? Wenn ich mich schon für den Tod und gegen das Martyrium entschieden habe, - genügt dann nicht mein Tod? Der alten Frau in Hamburg hat ihr eigener Tod genügt. Ist

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