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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Rast.
    Lange bevor er die Höhe über dem Tal erreichte, war die Nacht hereingebrochen, und ein paar Sterne schimmerten durch die leichten Wolken. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Obwohl der Steinmetz sehr müde war, schlug sein Herz schneller, wenn er an seine Frau unten im Tal dachte. Mit neuer Kraft ging er hinunter und rief laut ihren Namen, daß das Echo durchs Tal scholl.
    »Katesh!« rief er nochmals. »Nooma ist wieder da!« Und er eilte weiter.
    Von einer Wegbiegung aus konnte er die Hütte sehen. Sie lag etwa dreihundert Schritte entfernt. Ein kleines Feuer brannte davor. Der umliegende Grund war bis auf ein kleines Dickicht gerodet. In diesem Augenblick sah er – er war ziemlich sicher – eine Gestalt heimlich aus der Hütte gleiten, am Feuer vorbei in den Schatten der Bäume schlüpfen. Er mußte sich geirrt haben! Und doch hätte er schwören können, daß er eine große, ihm vertraute Gestalt gesehen hatte; vertraut vor allem wegen der sonderbaren Gangart auf langen Zehen, die, das wußte er genau, nur Tark, dem Flußschiffer, eigen war. Sein Herz schlug plötzlich rasend. Er hastete den Weg hinunter und stürzte atemlos in die Hütte.
    Katesh hatte Tark gerade umarmt, als sie den Ruf ihres Mannes vernahm, und auf der Stelle war der Zauber gebrochen. »Geh!« hatte sie verzweifelt geflüstert.
    »Geh!« Was hatte sie nur getan? Mit einer Welle von Schuldgefühl riß sie sich zusammen. Um ein Haar hätte sie ihren Mann betrogen. Als sein rundes Gesicht in der Tür erschien, stand sie auf und begrüßte ihn lächelnd. Er sah sich voller Argwohn um.
    »Wer war hier?« schrie er und sah sie durchdringend an. »Niemand«, log sie und betete, daß er ihr glauben möge. »Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
    Sie schüttelte den Kopf. Nooma drehte sich um und lief hinaus in die Wälder.
    Dluc, der Hohepriester, zweifelte nicht daran, daß Krona vor Schmerz den Verstand verloren hatte. Er konnte nur hoffen, daß sich das irgendwie wieder bessern würde. Jetzt jedenfalls war er offensichtlich wahnsinnig.
    Dennoch hatten ihn an jenem Schicksalstag, als Raka starb, Kronas erste Worte wie aus heiterem Himmel getroffen. »Die Mondgöttin beschützt doch die Jäger, nicht wahr?« Dluc starrte ihn an. Jedes Kind wußte, daß der Sonnengott die Zeit für Saat und Ernte gab und daß die Mondgöttin seit eh und je über die Jagd wachte.
    »Ja«, antwortete Dluc.
    »Und sie wacht auch über die Häuser der Toten?« »Natürlich.«
    »Dies hier ist ein Haus der Toten«, meinte Krona bitter. »Ihr Priester beginnt eure Gebete so: ›Sonne, Spender des Lebens.‹ Aber Krona spendet die Sonne nichts als Tod. Wir werden nicht mehr den Sonnengott in unserem Henge verehren. Wir werden die Mondgöttin und nur sie allein ehren. Euer neuer Henge soll ihr zu Ehren entstehen. Sarum soll nicht mehr das glückliche genannt werden. Es soll von nun an Ort des Todes genannt werden.«
    Der Priester lehnte sich offen gegen diese Blasphemie auf, doch Krona beachtete ihn nicht. »Wo ist Omnic?« erkundigte er sich. »Im Haus der Priester.«
    »Er brachte das Mädchen aus Irland. Er sagte, sie werde mir Söhne gebären. Er hat gelogen, er ist ein Verräter.«
    »Du bist nicht bei Sinnen!« rief Dluc. »Omnic muß sterben.« »Er ist ein Priester, sein Leib ist heilig!«
    Dluc sah, daß Krona ins Leere starrte und daß er völlig geistesabwesend war. Da verließ er ihn.
    Er konnte es nicht fassen, daß Krona selbst in seinem Wahnsinn es wagen würde, Hand an einen Priester von Stonehenge zu legen. Dennoch wollte er Schlimmstes verhindern, und in derselben Nacht ließ er den treuen Priester auf dem Fluß nach Westen bringen und eine Tagereise von Sarum entfernt in den Wäldern verstecken. Krona befahl den Hohenpriester sogleich zu sich. »Du hast Omnic weggeschafft!«
    Dluc antwortete nicht. Er fand Krona seit dem Vortag kaum verändert, nur daß seine Augen voller Argwohn und Furcht standen. Das stimmte ihn traurig.
    »Du also verläßt mich auch«, murmelte Krona. »Nein«, erwiderte Dluc, »aber ich werde die Götter nicht verlassen.«
    »Bring mir Omnic zurück!«
    »Nein, das werde ich nicht tun!«
    Krona geriet außer sich, aber Dluc zog sich zurück. Am nächsten Tag schickte er den jungen Priester in einen fernen Tempel in den Bergen von Wales, wo er in Sicherheit war.
    Während der nächsten fünf Jahre fragte Dluc sich mitunter, ob Krona auch ihm nach dem Leben trachtete, denn in Sarum regierte mittlerweile der

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