Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
während er am Feuer saß und mit seinem Sohn spielte. Während des Essens fiel ihm auf, daß sie ihn auf eine ganz neue Weise ansah, und als sie nachts beieinanderlagen, liebte sie ihn mit einer bis dahin nicht gekannten Leidenschaft.
    Das gleiche geschah in der nächsten und in der folgenden Nacht. Es war, als hätte sich seine Frau plötzlich heftig in ihn verliebt. Den ganzen Winter hindurch erlebte Nooma ein so tiefes Glück, wie er es nicht einmal im ersten Jahr ihrer Ehe erfahren hatte. Katesh war in jeder Beziehung eine vollkommene Ehefrau. Im Frühling stellte er dann zu seiner Freude fest, daß seine Hoffnung auf eine erneute Schwangerschaft seiner Frau sich erfüllt hatte. Nooma kehrte beruhigt und mit der Sicherheit eines dauernden Glücks zu seiner Arbeit zurück.
    Seine größte Freude war es damals, seinen Sohn mit zum Henge zu nehmen. Der Junge glich dem Vater wie ein Ei dem anderen, daß selbst die Priester belustigt lächelten, wenn die beiden krummbeinigen Gestalten – die eine als Miniaturausgabe der anderen – über das Gelände watschelten. Noo-ma-ti hatte geschickte Händchen und formte begeistert Figuren aus dem Lehm, den der Vater ihm brachte.
    »Er wird ein hervorragender Handwerker«, sagte Nooma stolz zu den Priestern. »Noch besser als ich!«
    »Du wirst lernen, wie man Stein bearbeitet«, sagte er zu dem Jungen, »und du wirst den Henge lieben.«
    Im Lauf der Jahre war Nooma selbst immer stärker vom Zauber des Henge ergriffen worden. Eigentlich hätte er den inneren Kreis niemals betreten dürfen; durch seine Arbeit kam er jedoch so häufig in den geheiligten Bezirk, daß er mit dem Ort und mit den Priestern vertraut wurde. Er fühlte sich hingezogen zu dem breiten, umlaufenden Erdwall, zum stillen Heiligtum im Innern, zur langen geheiligten Straße, die wie ein Pfeil auf die Morgenröte am Horizont wies. Im Verlauf des Sommers wurde Katesh immer rundlicher, und Nooma immer aufgeregter. »Es wird ein Junge«, meinte er, »noch ein Steinmetz. Ich bin ganz sicher.«
    Katesh lachte, wenn sie das hörte. »Ich glaube, es wird ein Mädchen«, sagte sie.
    »Dann wird sie sein wie du«, entschied er glücklich. Eines Tages streichelte er ihren Bauch und spürte die Bewegungen des Kindes. »Ich glaube, es ist größer als Noo-ma-ti. Wann soll es denn kommen?«
    Katesh zuckte die Achseln. »Wann es kommt? In zwei Monaten, denke ich.«
    Bald darauf wurde ihm im Henge bewußt, daß seine Frau sich verrechnet haben mußte. Als er die sechsundfünfzig KalenderPfeiler betrachtete, sah er, daß sich die Position der Sonne seit seiner Rückkehr erst um sechs Monate verschoben hatte. Das Kind konnte also erst in drei Monaten kommen. Er lächelte über die Sorglosigkeit seiner Frau im Umgang mit Daten.
    In diesen schlimmen Jahren fand der Hohepriester nur nachts seinen inneren Frieden. Da ging er auf die heilige Anhöhe. Die geheime Mathematik der himmlischen Sphären gab ihm Trost. Er hatte die sechsundfünfzig hölzernen Markierungen im Kreis innerhalb des Heiligtums wieder an ihre geweihten Plätze bringen lassen; hatten denn nicht die alten Priester im Laufe ihrer endlosen Berechnungen die mystischen Eigenschaften dieser heiligen Zahl entdeckt?
    Und war es nicht so, daß zwischen fünf Sonnenjahren und fünf Mondjahren, wenn man in diesem Fall die Mondjahre als zwölf Lunationen – Mondumläufe – betrachtete, sich eine identische Zwischenphase von sechsundfünfzig Tagen ergab? In der Tat! Auf diesen geheimnisvollen Wegen, das wußte er, offenbarten die Götter den Priestern, die voller Verehrung diese Abläufe studierten, ihre Harmonien.
    Kateshs Umfang hatte Nooma vermuten lassen, daß es ein schweres Kind würde. Er war jedoch überrascht, als sie einen Monat zu früh eine Tochter gebar.
    Katesh war hoch erfreut; nie hatte der kleine Steinmetz seine Frau so glücklich gesehen. Sie hielt ihm das Kind stolz zur Begutachtung entgegen.
    »Es ist ein Mädchen«, sagte sie und lächelte erschöpft. »Das nächstemal bekommst du wieder einen Steinmetz.«
    Nooma nahm das Baby freudig in die Arme. Doch dann runzelte er die Stirn. Es war keine Frühgeburt, das sah er sofort. Und als er das Kind näher betrachtete, bemerkte er noch mehr: Es hatte einen langen schmalen Kopf, dem seinen ganz unähnlich. Bereits jetzt war zu erkennen, daß Finger und Zehen ungewöhnlich lang waren – wie die von Tark. Er blickte Katesh wortlos an, aber sie fand anscheinend alles in Ordnung und war überglücklich mit der

Weitere Kostenlose Bücher