Satt Sauber Sicher
wegen unausgelebter Sehnsucht entwickelt. In ihm klingelt dieses Lied, er hört die Arbeitsgeräusche von Karla in der Küche und sieht sich dann wie ein geistesgegenwärtiger Wahnsinniger mit einer handlichen Kettensäge der Karla den Schädel abrasieren. Der Kopf schlägt auf die Fliesen und guckt Hubert an. Der Restkörper räumt weiter die Spülmaschine ein.
Recht so, denkt Hubert, scheißt zu Ende, nimmt wie immer zu wenig Klopapier und wäscht sich mit Absicht nicht die Hände, nur um damit eventuell seine Frau zu berühren.
Es ist immer so, dass an diesen Samstagen die Karla Sachen auf einen Zettel schreibt, die Hubert einkaufen soll. Während Hubert dann weg ist, um all dieses Zeug zu besorgen, leckt Karla mit ihrer fleischigen und fleißigen Zunge die Bude sauber. Gießt dann Blumen und zwischendrin kleckern Musikfetzen durch das Wohnzimmer, die Karlas Gedanken zertrümmern. "... für mich soll's rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen, die Welt sollte sich umgestalten und ihre Sorgen für sich behalten ..." So blubbert die Hildegard, die Knef, die schon tot ist, durch das Zimmer. Hat sich damit für Karla und andere Menschen unsterblich gemacht. Statt roter Rosen regnet es mittlerweile lediglich kranke Gedankenschauer in Karlas Hirn und statt Wunder begegnen ihr nur Wunden. Und die werden von Hubert gesalzen. Hubert, der wundersame Wundensalzer.
Hubert besteigt sein Auto, in seinem Hirn rumort es. Das Gehirn will expandieren, die Grenzen des Schädels sprengen, raus aus dem Kopf, sich zerschlagen und anfangen, neu zu denken. Geht aber nicht. Irgendwas in ihm, sei es Vernunft oder Feigheit, tritt in ihm auf die Bremse und so ist er full speed egal. In ihm Raserei, aus ihm raus keine Regung. Hubert fühlt sich wie ein Auto, bei dem einer Vollgas gibt, aber vergessen hat, einen Gang einzulegen. Full speed neutral eben. Als Hubert den Zündschlüssel umdreht, eskalieren seine Gefühle. "Guten Tag, bitte geben Sie Ihr Fahrziel ein", erotisiert es ihn aus seinem unbedienbaren Navigationssystem. Du Schlampe, denkt Hubert und fährt zum Supermarkt. Jede Minute sagt die kleine Frau: "Guten Tag, bitte geben Sie Ihr Fahrziel ein". Aber das kann Hubert nicht.
Und das Gerät plappert ihn in den allmählichen Wahnsinn, in dem er sich eigentlich schon befindet. Das ist wie ein Sumpf, in den man mit jeder Bewegung, die man tun kann, immer nur tiefer einsackt. Tiefer und tiefer in einen Taumel gerät, der nur das Verschlucken des Selbst zelebriert.
Währenddessen saugt Karla die Wohnung. 1.600 Watt Leistung saugen kleine, wehrlose Flusen aus Sesseln, von Teppichen, aus Ecken, wo nie jemand sein und stehen wird. Für Karla sind 1.600 Watt Staubsaugerleistung zu wenig. Sie fühlt immer noch Schmutz in diesen Zimmern und überall diese Unruhe, weil hier dieser dreckige Mann wohnt. An ihm kleben Bakterien und Viren, die er hier auf die Erde atmet und damit alles kaputtverseucht. Dagegen helfen auch keine 1.600 Watt Saugerleistung. Dagegen würde ein Gewehr helfen, das dem Mann ein Loch in die Brust oder den Kopf abmacht. Oder wenn der Mann hier tatsächlich weiter umherstrauchelt, muss was zum Schutz her. Ein NASA-Anzug. Karla saugt unsichtbaren Dreck vom Fußboden und sich ihr emotionales Ungleichgewicht aus dem Kopf. Ist schwer, denn es kommt immer schneller neues Ungleichgewicht. Ständig neuer Schaum vorm Mund. Der blubbert und schmeckt nach Blut und Sünde. Kleine Träume sind auch dabei, nur die sind so undeutlich, geschmacklos und blass, allzu blass. Geschmacklose Träume, die zu klein sind, um sie zu betrachten, sowie die nahezu unsichtbaren Staubpartikel in der Luft und die Bedeutungslosigkeit kleiner Flecke auf dem indischen Teppich. Karla beißt sich zwischendurch auf die Zunge, nur um einen Schrei zu vermeiden, der in ihr gärt und ihre Persönlichkeit dem Wahnsinn näher bringt. Der Innenmundschmerz ist so bekannt wie der stechende Geruch, der Huberts Körper umspielt. Die Monotonie des Staubsaugers heilt. Beruhigend das blöde Motorengeräusch des Staubsaugers. Gleichbleibend Karlas Saugbewegungen. Sie fährt mit diesem Gerät über denfaserigen Teppich, über glatte, kalte Fliesen, über ein Leben, das keines ist. Das könnte sie den ganzen Tag tun.
Hubert unterdessen im Supermarkt. Liest diesen dummen Zettel. Holt sich einen Einkaufswagen. Schiebt den durch die belebten und von Gehirndurchfallmusik beschallten Gänge. Waschmittel, Putzlappen, Hackfleisch, Bratensoße, Äpfel (grün),
Weitere Kostenlose Bücher