Satt Sauber Sicher
nicht. Wo ist denn die Jugend? Sonja sieht nur Zufallsgesichter unter Designerfrisuren. Niemand guckt bestimmt. Was Augen erkennen müssen und an Gehirne weiterleiten müssen, ist manchmal nicht mehr als eine vergessene Nachgeburt, die man Mischlingswelpen zum Fraß vorwirft oder manchmal süßen Ferkelgestalten. Die sollen leben. Nicht diese Leute hier, sondern die Ferkel, denen man Essen hinwirft aus dem Anlass des Zuvielbesitzens an Essen. Eat people not animals.
Sonjas Uniperversitätstag hat einen Anfang. Ihr Blick ein Scanner, besser erst mal einscannen die verdammte Umgebung und dann dem Gehirn zur Verwertung schicken, das dann wiederum 90 Prozent des Gesehenen für Unbrauchbar erklärt, weil es für diese Informationen einfach keine Empfänglichkeit gibt. Leider auch keine Empfängnisverhütung. Sonja guckt. Durchaus neutral. Sie parkt ihr Fahrrad unter den Fahrradständer und muss sich sofort um Menschen kümmern. Vor ihrem Antlitz wabert das schreckliche Volk der deutschen Universitätslandschaft. Uniperversitäten allerorten. Sonja riskiert Blicke. Sieht Kurt-Krömer- Brillen, sieht aus den Resten von amerikanischen Leichensäcken gefertigte Umhängetaschen, die diagonal und unpraktisch an Körpern, die keine sind, baumeln und die Gegenstände beherbergen, die Kreativität und Businessorientierung vortäuschen sollen. Hosen sieht die Sonja, die entweder viel zu eng oder viel zu weit sind und die Träger aussehen lassen, als herrsche in der Hose Atemnot oder als suche man noch einen Mitbewohner für das andere Hosenbein. Alles Extremisten aus der Mitte des Planeten, denkt Sonja und sieht weiterhin T-Shirts von unbekannten Emokapellen. Je unbekannter, desto Fragen stellender denkt da der Träger ... Schuhe sieht die Sonja, Schuhe, die so politisch korrekt sind, wie ihre Träger gern sein würden. Schuhe, die dem Kapitalismus in den Arschtreten wollen und ein Vermögen kosten. Schuhe aus der Haut von Hunden außerdem, schön von kleinen Indern in heimeliger Näharbeit hergestellt. Frisuren sieht die Sonja, Haardesign, das so räudig daherkommt wie selbst gebastelt, das aber vor jedem Ding mit Spiegelfunktion erst mal wieder in Form gebracht werden muss. Schön asymmetrisch die Frisuren so wie Zufallsschnitte, so unabsichtlich wirkend, aber immer gleich geformt.
An solchen Menschen geht die Sonja vorbei, grüßt einige, andere grüßen sie. Ach, das Leben auf dem Campus, das Studieren, Sichverirren, das In-geheimnisvolle-Augen-blicken-und-doch-nur-enttäuscht-werden, all das geht hier am Stock und ohne Würde ab. Sonja führt einige Smalltalkunterhaltungen mit Menschen, die etwas wie sie studieren. Man unterhält sich über Fachseminare und Klausuren, über den Arbeitsmarkt und was der hergibt oder auch verweigert. Sonja hat Meinungen und behält diese für sich. Sie schwimmt in diesem Pool aus scheinbar sinnvollem Unsinn und denkt sich immer anders. Sonja denkt die Dinge, die sie persönlich angehen. Andere Stimmen stören da nur. In ihrem Kopf bricht hin und wieder eine schizophrene Hölle aus, ein Chor aus Stimmen, die alle zu ihr gehören, und warum geht sie dann noch studieren, wie anders wäre ein Leben, das nur aus dem Zuhören eben jener Stimmen bestünde.
Eine Art Mittagspause hat die Sonja auch, nachdem sie zwei Vorlesungen besucht hat. Eine hatte das Thema "Interne Toleranz und externe Intoleranz am Beispiel deutscher Popmusik" und die andere "Zwangsgesetze der Konkurrenz in der politischen Ökonomie". Weil den blauen, fast wolkenlosen Himmel ständig Sonnenstrahlen durchstreichen, kann die Sonja draußen bleiben und sich unter einen Baum in der Nähe des Campus setzen. Dort schwingt sie ihre Tasche mit den Studierutensilien von sich und lässt sich in einen Schattenplatz sinken, der gut riecht und einladend dunkel ist. Das Gras ist nochleicht feucht, aber das ist nicht so wichtig. Die Abgeschiedenheit vom Rest ist wichtiger. Sonja beobachtet das Schaulaufen der verpeilten Modeopfer und verliert sich erneut in Gedachtem. "Ich frage mich, ob die Depression nicht die wahre Erfüllung allen Seins ist, der Grundstein des sozialen Lebens, oder ob ich einfach asozial geboren wurde und das Leben in ständiger Trauer und Zweifel mein einziger Weg ist, irgendwie in diese Welt zu passen und nicht verloren zu gehen", so schallt es in Sonjas Kopf in einer tanzenden Endlosschleife. Und weiter schwingt da im Subtext mit: "Was noch zu erfinden wäre: Ein Aus-der-Haut-Schlüpfer und vielleicht ist es deshalb
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