Saubere Verhältnisse
Beete gepflanzt, so wie die Blumen um die Straßencafés im Zentrum.
Zwischen Weihnachten und Neujahr waren die Besitzer da. Dann stand im Wohnzimmer ein riesiger, perfekt gewachsener Weihnachtsbaum amerikanischen Typs, der Schmuck war in Weiß und Gold gehalten, und man konnte sehen, daß das Zimmer voller festlich gekleideter Menschen mit Weingläsern in den Händen war. Waren sie wirklich lebendig? Oder waren sie auch eine Illusionsnummer der exklusiven Firma, die sich um Haus und Garten kümmerte, während die Besitzer ihre Frühpension in einer Luxusvilla an der spanischen Sonnenküste verlebten?
Vom Eibenweg kam sie dann wieder auf den Phloxweg, das letzte Stück ging sie dann zweimal, jetzt allerdings in entgegengesetzter Richtung, bis hinunter zum Weißdornweg und dann geradeaus bis zu ihrem Auto.
Nach einem solchen Spaziergang war sie immer erfrischt und gut gelaunt. Sie freute sich, ihre alten Bekannten in den Häusern wiederzusehen und zu beobachten, wie sich alles seit dem letzten Besuch entwickelt hatte, aber sie brauchte dafür keine Konversation zu machen oder sie zum Essen einzuladen. Es war ein bißchen wie bei einer alten, vertrauten Fernsehserie, wo nicht sehr viel passierte und wo man gut mal eine Folge oder zwei verpassen konnte ohne den Faden zu verlieren. Man hat seine Lieblingsfiguren und solche die einem eher gleichgültig sind. Im Lauf der Serie verschwinden Menschen, neue kommen hinzu, und genau das ist das Gute daran.
Wie alle Serien spielte auch diese in einem geographisch begrenzten Gebiet, was den Eindruck von Überschaubarkeit vermittelte. Die Welt in einer Nußschale. Yvonne legte den Vorort unters Mikroskop, betrachtete belustigt die Menschentierchen, die in ihre Nester hineinflitzten und wieder herauskamen, und studierte ihr Verhalten.
Natürlich gab es eine Gefahr, wenn man die Menschen so studierte. Die Gefahr, zu glauben, etwas zu wissen. Denn eigentlich wußte sie ja nichts. Sie zählte zwei und zwei zusammen und füllte das, was fehlte, auf. Sie riet, sie phantasierte. Sie war sich bewußt, daß sie den Vorort als Projektionsfläche für ihre eigenen Hoffnungen benützte, für ihre Enttäuschungen, Ängste, Sehnsüchte. Sie sah nur einen leeren Spiegel. Erst wenn sie selbst in den Vorort zog, am Leben teilnahm, mit den Menschen sprach und etwas von sich preisgab – erst dann würde sie etwas erfahren.
Es war wichtig, dies alles nicht zu vergessen. Trotz ihrer Spaziergänge, trotz ihrer Beobachtungen und Studien wußte sie nichts.
Und um sich an diese Tatsache zu erinnern, ging sie bei jedem Spaziergang in die Sackgasse Orchideenweg hinein und blieb vor dem Haus Nummer 9 stehen.
Dieses Haus eignete sich nämlich nicht für irgendwelche Projektionen. Sie betrachtete es und versuchte zu verstehen, was sie sah. Sie bemühte sich, ein Bild der Bewohner und ihres Lebens zu erzeugen. Aber es blieb einfach nur ein Haus.
Ein hübsches Haus, weiß verputzt, nicht sehr groß, an einem Giebel kletterte Efeu hoch. Es sah nicht sehr schwedisch aus, eher irgendwie dänisch oder deutsch, besonders wenn man es von der Giebelseite aus betrachtete. Es war höher und schmaler, als schwedische Häuser normalerweise sind. Auch die Fenster waren höher und schmaler. Es hatte ein tief gezogenes Satteldach, das sich wie eine Schale um den Hauskörper schloß.
Das Haus war in gutem Zustand, der große Garten allerdings war ungepflegt. Der größere Teil lag hinter dem Haus, aber von der Straße aus konnte sie einen großen, brachliegenden Gemüsegarten sehen. Das Gras war hoch wie bei einer Wiese.
Weiter hinten ging der Garten in den Wald über, und von da kam manchmal ein sprödes Klingen, das sich an windigen Tagen verstärkte. Sie vermutete, daß das Geräusch von einem Windspiel herrührte, Metallstäben, die gegeneinander schlugen.
Die Fenster gestatteten keine gute Einsicht. Naturfarbene Leinenvorhänge waren wenig kunstvoll aufgehängt. In einem Fenster stand als einziger Schmuck eine kleine Vase aus hellgrüner Keramik. Vielleicht eine chinesische Antiquität. Vielleicht eine billige Kopie. Das war gleichgültig. Die Form war einfach und exklusiv, und die Leere um diese Vase machte sie wertvoll. Es erforderte Mut und ästhetisches Gefühl, einen Ziergegenstand so aufzustellen.
Manchmal hatte sie weit drinnen im Raum Licht von einer niedrigen Lichtquelle gesehen – einer Tisch- oder Stehlampe –, und im ersten Stock stand im Sommer manchmal ein Fenster offen.
Menschen hatte sie
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