Pastworld
Vorwort
Beim Erzählen dieser Geschichte möchte ich keinerlei Vorwissen aufseiten des Lesers voraussetzen. Die meisten werden ohnehin von den Verbrechen des Phantoms gehört haben und die Geschichte und Geografie des Themenparks namens Pastworld kennen, aber mir war es wichtig, diesen Bericht allen heutigen und zukünftigen Lesern zugänglich zu machen, auch denen, die weder mit der Örtlichkeit noch mit dem Verbrecher und seinen Taten vertraut sind. Deshalb bitte ich diejenigen, denen all diese Dinge nur allzu bekannt sind, um Verständnis.
In der Boulevardpresse konnte man lauter halbwahre und sensationslüsterne Berichte über das Phantom lesen, deshalb lag mir daran, dieser Art der Berichterstattung entgegenzuwirken und – soweit es mir möglich war – die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Mein Interesse an dieser geheimnisvollen Geschichte entstand zufällig während einer Frühschicht im Buckland Corporation’s Comms Centre, als plötzlich ein Alarmlämpchen auf meiner Konsole aufleuchtete. Ich möchte meine eigene Rolle in diesem Drama keinesfalls überbewerten, andererseits kann ich mich der Verantwortung für einige der kommenden Ereignisse nicht entziehen. Mir wurde die Aufgabe übertragen, verschwundene Personen aufzuspüren, wodurch ich in der Lage war, das Phantom, wenn schon nicht vor Gericht, dann wenigstens doch ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Ich überlasse es der Nachwelt zu entscheiden, ob ich erfolgreich war oder nicht.
Im Folgenden berichte ich in meinen eigenen Worten, außer an Stellen, an denen ich aus diversen offiziellen Quellen und aus Eves Tagebuch zitiere.
Ich bin dankbar für die Fördergelder der William Leighton Stiftung, durch die ich mir die nötige Zeit nehmen konnte, all die verschiedenen Unterlagen zu studieren und zusammenzutragen. Bestimmte Szenen und Ereignisse sind selbstverständlich Spekulationen, aber jede Spekulation basiert auf Fakten, wie sie mir von Augenzeugen berichtet wurden.
Ich hoffe, dass dieser Bericht sowohl der Unterhaltung dient als auch ein offizielles Dokument darstellt, doch mindestens ebenso wichtig ist die darin enthaltene Warnung: eine Warnung vor dem blinden Glauben an Fortschritt und Wissenschaft und vor dem Schicksal, das diejenigen ereilen könnte, die an den Bausteinen der menschlichen Natur herumpfuschen.
Chefinspektor Charles Catchpole, Scotland Yard (Abteilung Pastworld), im Juli 2050
I
Die Morgendämmerung stand kurz bevor. Es war kalt. Vom Luftschiff der Buckland Corporation aus gesehen erschienen die Straßen von Pastworld City wie auf einem Stadtplan. Im ersten nebligen Dämmerlicht waren nur einige wenige Details erkennbar. Etwa die geraden Linien der grauen Schieferdächer mit ihren gelben Londoner Ziegelschornsteinen und dem Rauch, der aus den kunstvoll verzierten Terrakotta-Kaminaufsätzen nach oben quoll. Unter den Dachtraufen hockten Scharen von scheinbar schlafenden, ordentlich aufgereihten mechanischen Tauben. Zu dieser frühen Stunde waren nur wenige Geräusche vernehmbar, das Dröhnen der Luftschiffmotoren und die klagenden Töne der Nebelhörner, die sich irgendwo im silbernen, verschlungenen Flusslauf gegenseitig zu rufen schienen. Weiter entfernt, tief in der Dunkelheit im Zentrum der schlafenden Stadt, ertönte das leise Läuten einer einzelnen Kirchenglocke.
Menschen waren kaum zu sehen.
Sehr viel näher am Stadtzentrum, im Mittelpunkt des Geschehens, hätte ein Passagier mit Adleraugen eine einsame, finstere Gestalt erspähen können, die sich rasch, wie ein bösartiger Virus, der die städtischen Venen und Arterien infiziert, durch die verwinkelten Straßen und Gassen bewegte. Nähere Einzelheiten der Figur wurden von dem wehenden, langen schwarzen Umhang und dem hohen schwarzen Zylinderhut verdeckt. Immer wieder drehte die Gestalt sich um und schaute hinter sich. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in den Brillengläsern, die nur aus Fensterglas bestanden, denn die Sicht des Mannes war mehr als vollkommen. Der untere Teil seines Gesichts war hinter einem dunklen Seidentuch verborgen, ein Schal vielleicht oder ein Halstuch, das als Maske herhalten musste. Zwischen den Falten seines Umhangs gut versteckt trug er etwas Sperriges über der Schulter.
Vor ihm löste sich plötzlich eine weitere schattenhafte Gestalt aus dem Schutz eines der steinernen Torbogen, sprang auf das Kopfsteinpflaster und versperrte ihm den Weg. Der maskierte Mann registrierte schnell, dass es sich um die Gestalt
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