Scarpetta Factor
fünf Jahre Zeit, ein einflussreiches Netzwerk an sich zu bringen. Außerdem ist er vermögend. Also hat er an seinem Plan gefeilt. Doch um eine Operation größeren Ausmaßes in die Tat umzusetzen, braucht man Helfer. Er musste also Truppen anwerben. Und wenn er die Familie Chandonne wieder zum alten Verbrecherruhm führen, ein Imperium aufbauen und ein neues Leben anfangen wollte, war dazu eine Menge Personal notwendig. Allerdings war vorauszusehen, dass er sich die falschen Leute aussucht. Einem Menschen, der als Kind missbraucht wurde, der psychopathologische Züge aufweist und der eine Reihe schwerer Gewaltverbrechen begangen hat, fehlen die Eigenschaften, die eine kluge und erfolgreiche Führungspersönlichkeit auszeichnen. Er kann sich nicht unbegrenzt verstellen, denn seine eigentlichen Antriebsfedern sind sexuelle Gewaltphantasien und Rachegelüste.«
Die Wurzel des Baumdiagramms an der Wand symbolisierte Jean-Baptiste. Sein Name stand in der Mitte des Bildschirms. Die Namen aller übrigen Beteiligten zweigten direkt oder indirekt davon ab.
»Wir wissen, dass Dodie Hodge und Jerome Wild mit ihm in Kontakt stehen.« Als Benton den Laserstrahl bewegte, glitt der rote Punkt zu den entsprechenden Namen.
»Wir sollten auch Hap Judd aufführen«, schlug Berger vor. Ihre Haltung hatte sich geändert, und sie wirkte auf einmal sehr ernst. »Er hat Verbindung zu Dodie, obwohl er abstreitet, noch etwas mit ihr zu tun zu haben.«
Benton konnte sich nicht erklären, warum Berger sich plötzlich so seltsam verhielt. Während sich alle einen Kaffee geholt hatten, hatte sie sich an einen Schreibtisch gesetzt und am Festnetzanschluss telefoniert. Seitdem war sie ziemlich still geworden, hatte nichts mehr eingebracht, nicht widersprochen und auch aufgehört, Lanier über den Mund zu fahren. Benton hatte den Eindruck, dass es nicht um Zuständigkeitsgerangel und die Frage ging, wer gegen wen die Anklage vertreten würde. Jaime Berger machte vielmehr den Eindruck, als hätte sie eine Niederlage einstecken müssen und sei nun völlig erschöpft.
»Eine Weile hat Hap sich angeblich von ihr spirituell beraten lassen«, meinte Berger nun mit schleppender Stimme. »Das hat er zumindest bei der Vernehmung heute Morgen angegeben. Sie sei eine Landplage, die ständig in seinem Büro in New York anriefe, weshalb er nach Möglichkeit einen Bogen um sie mache.«
»Wie hat er Dodie kennengelernt?«, erkundigte sich Lanier.
»Offenbar hat sie auch Hannah Starr spirituell beraten und ihr die Zukunft vorhergesagt«, antwortete Berger. »Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Erstaunlich viele Prominente und wohlhabende Personen des öffentlichen Lebens, selbst Politiker, wenden sich an sogenannte Hellseher, Hexen, Zauberer und Propheten, von denen die meisten Scharlatane sind.«
»Nur dass der Großteil von ihnen vermutlich keine Banken überfällt«, fügte Stockman hinzu.
»Sie würden sich wundern, was viele dieser Leute sonst noch so treiben«, sprach Berger weiter. »Diebstahl, Erpressung und Betrug scheinen in der Branche weit verbreitet zu sein.«
»War Dodie Hodge jemals in der Villa Starr in der Park Avenue?«, fragte Lanier Berger.
»Laut Hap ja.«
»Halten Sie Hap für einen Verdächtigen im Fall Hannah Starr?«, wollte O’Dell wissen. »Könnte er darüber im Bilde sein, wo sie steckt, oder etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben?«
»In meinen Augen ist er derzeit der wichtigste Verdächtige«, erwiderte sie. Sie klang überarbeitet, beinahe geistesabwesend oder niedergeschlagen.
Allerdings war der Grund ganz sicher nicht Müdigkeit. »Hap Judds Name gehört wegen Dodie und Hannah an die Wand.« Berger ließ den Blick über die Runde schweifen, ohne jemanden wirklich anzusehen, so als hielte sie ein Plädoyer vor Geschworenen. »Außerdem der von Toni Darien. Immerhin hat er Kontakt zum High Roller Lanes und sicher auch zu Eddie Maestro. Das Park General Hospital in Harlem, nicht weit entfernt von der Stelle an der Hundred-tenth Street, wo Tonis Leiche gefunden wurde, sollten wir ebenfalls aufführen.«
Weitere Äste auf dem Flachbildschirm: Hannah Starr, verbunden mit Hap Judd und Dodie und indirekt auch mit Jerome Wild. Alle waren wiederum mit Toni Darien, dem High Roller Lane und dem Park General Hospital verknüpft, und die Linie führte zurück zu Jean-Baptiste. Berger schilderte Haps frühere Tätigkeit in dem Krankenhaus in Harlem und berichtete von der jungen Frau namens Farrah Lacy, die dort gestorben
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