Schach von Wuthenow
keiner ist, unter allen Umständen aber als ihr charakteristischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvensleben?«
Alvensleben bestätigte.
Der Prinz indessen, der ein Sicheinbohren in Fragen über die Maßen liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute wieder hingab, immer lebhafter werdend, fort:›Elegisch‹, sagen Sie, ›witzig-elegisch‹; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable besser anstehn könnte. Sie fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles, was Ihnen dabei vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltäglichsten Schönheitsform, der beauté coquette: das Näschen ein wenig mehr gestupst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichtsloser. Aber damit erschöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable keineswegs. Diese hat etwas Weltumfassendes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrage weit hinausgeht. Ganz wie die katholische Kirche. Diese wie jene sind auf ein Innerliches gestellt, und das Innerliche, das in
unserer
Frage den Ausschlag gibt, heißt Energie, Feuer, Leidenschaft.«
Nostitz und Sander lächelten und nickten.
»Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wiederhole: ›Was ist Schönheit?‹ Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen verzichtet werden, ihr Fehlen kann sogar einen allerdirektesten Vorzug bedeuten. In der Tat, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlagen und noch wunderbarere Siege gesehn. Es ist auch in der Liebe wie bei Morgarten und Sempach, die schönen Ritter werden geschlagen, und die häßlichen Bauern triumphieren. Glauben Sie mir, das Herz entscheidet,
nur
das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, ist auch liebenswürdig, und es wäre grausam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was ist alltäglicher, als eine schöne Frau durch eine nicht schöne Geliebte verdrängt zu sehn! Und nicht etwa nach dem Satze toujours perdrix. O nein, es hat dies viel tiefre Zusammenhänge. Das Langweiligste von der Welt ist die lymphatisch-phlegmatische beauté, die beauté par excellence. Sie kränkelt hier, sie kränkelt da, ich will nicht sagen immer und notwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine beauté du diable die Trägerin einer allervollkommensten Gesundheit ist, jener Gesundheit, die zuletzt alles bedeutet und gleichwertig ist mit höchstem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herrn, wer hätte mehr davon als
die
Natur, die durch die größten und gewaltigsten Läuterungsprozesse wie durch ein Fegefeuer gegangen ist. Ein paar Grübchen in der Wange sind das Reizendste von der Welt, das hat schon bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und unlogisch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Respekt und eine Huldigung zu versagen, die der Einheit oder dem Pärchen von alters her gebührt. Das paradoxe ›le laid c'est le beau‹ hat seine vollkommne Berechtigung, und es heißt nichts andres, als daß sich hinter dem anscheinend Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre meine teure Pauline hier, wie sie's leider
nicht
ist, sie würde mir zustimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch persönliche Schicksale kaptiviert zu sein.«
Der Prinz schwieg. Es war ersichtlich, daß er auf einen allseitigen Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentlich die Honneurs des Hauses machte, heute
nicht
anwesend zu sehn. Als aber niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: »Es fehlen uns die Frauen und damit dem Wein und unsrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunsch wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die Carayonschen Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen. Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreise der Frau von Carayon angehören, sich zum Interpreten meiner Wünsche machen. Sie, Schach, oder auch Sie, lieber Alvensleben.«
Beide verneigten sich.
»Alles in allem wird es das Beste sein, meine Freundin Pauline nimmt es persönlich in die Hand. Ich denke, sie wird den Carayonschen Damen einen ersten Besuch machen, und ich sehe Stunden eines angeregtesten geistigen Austausches entgegen.«
Die peinliche Stille, womit auch diese Schlußworte hingenommen wurden, würde noch fühlbarer gewesen sein, wenn nicht Dussek in eben diesem Moment auf den Balkon hinausgetreten wäre. »Wie schön«, rief er und wies mit der Hand auf den westlichen, bis hoch hinauf in einem
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