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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Anlandung
    8.   August
     
    D ie Zornesröte stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er das Schiff betrat. Fünf Tage Verspätung auf der Fahrt von Riga nach Hamburg, das war einfach unakzeptabel. Schließlich hatte es schon seit Wochen weder schweres Wetter noch Flaute gegeben. Und außerdem: Warum hatte das Schiff nicht, wie üblich, am Baakenhafen festgemacht, sondern dümpelte in zweiter Reihe an der Vorsetze des Strandhafens vor sich hin? Er war gespannt, welche Erklärung der Kapitän für ihn parat hielt. Der Mann war doch sonst so verlässlich.
    «Wo ist Corneelsen?», fuhr er den Matrosen, der ihn an der Reling empfing, barsch an.
    «Nicht hier», antwortete der Mann knapp. «Der Steuermann erwartet Sie in der Messe.»
    «Harksen?» Was hatte das jetzt zu bedeuten? Wutentbrannt stieg er zur Messe hinunter, wo der Steuermann zusammengesunken am großen Esstisch hockte. «Wo ist Corneelsen?»
    Der Steuermann blickte auf und erhob sich dann in gespenstischer Langsamkeit. «Der Kapitän ist tot», erklärte er mit zitteriger Stimme. «Er hat sein Grab im Kattegatt gefunden.»
    «Mein Gott, Harksen, was ist los? War er denn krank? Oder hat er sich selbst   –»
    Der Steuermann schüttelte den Kopf. «Wahrscheinlich Unterleibstyphus oder so etwas. Keine Ahnung. Den Ersten Maat hat es nach zwei Tagen erwischt. Dann ist Corneelsen krepiert. Zwei weitere Matrosen übergabenwir kurz vor Helgoland der See. Seit der Elbmündung dann noch drei. Sie sind noch an Bord. Unten im Laderaum.»
    Der Steuermann verstummte und blickte ihn ausdruckslos an. In seinen Ohren begann es zu brausen. Das Wort
Quarantäne
schoss ihm wie eine Horrorvision durch den Kopf. Wenn man das Schiff unter Quarantäne stellte, war die Ladung verloren. Das fehlte gerade noch. Durch die Verspätung hatte er schon genug Verluste zu verzeichnen. «Erzählen Sie genauer!»
    «Sie bekamen einfach Brechdurchfall. Urplötzlich und ohne Vorwarnung.» Harksen schüttelte ungläubig den Kopf. «Es folgten heftige Krämpfe und hohes Fieber. Dann wurden sie besinnungslos – kurz darauf waren sie tot.» Der Steuermann verzog sein Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. «Es war furchtbar. Wir konnten nichts für sie tun, so schnell ging es.»
    «Haben Sie schon mit irgendwem darüber gesprochen?»
    «Nein. – Sie hätten ihre Gesichter sehen sollen! Sie waren kaum wiederzuerkennen!»
    «Ja, das ist tragisch. Waren außer Corneelsen Leute von der Stammmannschaft dabei, oder hat es Angeheuerte erwischt?»
    «Sowohl – als auch», erklärte Harksen betrübt.
    Er versuchte, ein betroffenes Gesicht zu machen. «Schreiben Sie mir bitte alle Namen auf. Ich kümmere mich um die Familien.»
    «Und die drei im Laderaum?»
    Er wandte sich der Kajütentür zu. «Warten Sie bis zur Dämmerung, dann verholen Sie das Schiff zum Baakenhafen. Schaffen Sie die drei mit der letzten Ladung unauffällig von Bord.» Er warf dem Steuermann einenprüfenden Blick zu und setzte seinen Hut auf. «Ich verlasse mich auf Sie, Harksen! – Und dann vergessen Sie die Angelegenheit so schnell wie möglich. Sie hören von mir. Es ist ja nun eine Kapitänsstelle neu zu besetzen. Guten Tag.»
    Natürlich war die Angelegenheit ärgerlich, dachte er, als er von Bord des Schiffes ging. Aber ein paar toter Seeleute wegen brauchte man nun nicht gleich die Pferde scheu zu machen. Und auf Harksen konnte er bauen. Harksen war ehrgeizig. Als er die Kutsche bestieg, fiel sein Blick auf die Turmuhr von St.   Katharinen. Er wollte sich keinesfalls verspäten. In drei Stunden musste er in Friedrichsruh sein. Um den Rest würde er sich morgen kümmern.
     
    «Dann wären wir also vollzählig», rief der Gastgeber und schloss hinter dem letzten Ankömmling die Tür zum Salon. Um den großen Tisch in der Mitte des Raumes saßen die anderen – genau wie beim letzten Treffen. Niemand wagte, das Wort zu ergreifen, bis sich der Gastgeber schwerfällig auf dem großen Eichenstuhl an der Kopfseite des Tisches niedergelassen hatte. Er trug einen einfachen Rock aus grünem Leinen. Sein Gehstock lehnte an der Tischkante. Allein der weiße Bart erinnerte an längst vergangene Zeiten, als er noch den hellen Waffenrock der Kürassiere getragen hatte, aber den alten Mann mit den wässrigen Augen umgab immer noch die Aura des soldatisch Unerbittlichen. «Meine Herren, wie Sie wissen, haben wir noch knapp zwei Wochen.» Er blickte fragend in die Runde. «Sind wir uns nach wie vor einig?»
    Die Anwesenden blieben stumm.

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