Schäfers Qualen
der Betonvergiftung gestorben ist. Genau wissen wir das erst nach der Obduktion. Ich wollte noch auf Sie warten, bevor wir ihn rausholen.“
„Das war richtig, danke“, ging Schäfer zu der Vertiefung, wo der Kopf des Toten aus dem Beton ragte.
„Jemanden in der Nacht einzubetonieren, das geht doch sicher nicht geräuschlos vor sich“, wandte sich Schäfer der neben ihm stehenden Kollegin zu. „Hat niemand etwas gehört?“
„Die Kollegen sind noch dabei, die Nachbarn zu befragen. Nur sind die meisten Häuser in der näheren Umgebung Zweitwohnsitze und unter der Woche fast nie bewohnt. Und schreien hat er mit dem Druck auf der Brust nicht wirklich können, meint der Arzt.“
„Wo ist der Bauarbeiter, der ihn gefunden hat?“
„Der sitzt dort oben auf dem Bretterstapel. Werner Senn. Student, der hier den Sommer über arbeitet. Soll ich ihn herholen?“
Schäfer nickte und betrachtete konzentriert den Toten, als könnte ihm der noch etwas erzählen. Lebendig begraben, gekreuzigt. Warum macht sich jemand diese Mühe? Warum geht er dieses Risiko ein, gefasst zu werden? Schäfer ermahnte sich, dass er noch nicht von einem einzigen Täter ausgehen konnte; dass es sich ebenso um eine Frau handeln konnte. Was den Kraftaufwand anging, mit dem die Morde begangen worden waren, eher nicht. Doch die Gefühle dahinter traute er auch einer Frau ohne weiteres zu. Mittlerweile stand die Chefinspektorin mit dem Studenten neben ihm und wartete höflich, bis der Major aus seiner offensichtlichen Versunkenheit wieder aufgetaucht war. Schäfer stand auf, klopfte sich den Zementstaub von den Knien und wandte sich an Senn.
„Sie kennen den Toten?“, stellte Schäfer mehr fest, als er fragte.
„Ja, ich meine, kennen … er war einmal hier. Walter Krassnitzer … ihm gehört die Baufirma.“
„Mit wem war er hier?“
„Ein Paar, so um die fünfzig … wahrscheinlich die, denen das Haus dann gehört. Wenn sie es jetzt überhaupt noch wollen.“
„Und er hat noch gelebt, als Sie ihn gefunden haben?“
„Ja. Zuerst hab ich gedacht, der ist sicher schon tot, weil der Kopf so auf der Schulter gelegen hat. Aber dann hat er sich noch geregt.“
„Hat er was gesagt?“
„Ich glaube, er wollte, aber mehr als röcheln hat er nicht mehr können.“
„Danke. Geben Sie bitte meiner Kollegin Ihre Nummer und dann gehen Sie heim.“
Als Senn gegangen war, erteilte Schäfer die Erlaubnis, den Toten freizulegen.
Zwei Arbeiter, die etwas oberhalb bei einem Kompressor gewartet hatten, kamen mit Presslufthämmern und begannen den Beton zu zertrümmern. Schäfer ging inzwischen zu Kern hinauf und überlegte, ihn zu bitten, ihm eine Zigarette zu organisieren. Später, er könnte auch später noch eine rauchen, sagte er sich; seit drei Wochen eine erfolgreiche Strategie, mit dem Rauchen aufzuhören.
„Was meinst du?“, fragte er stattdessen den Inspektor.
Kern brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass ihn Major Schäfer um seine Meinung gefragt hatte.
„Ich … na ja. Es wäre schon sehr komisch, wenn in zwei Tagen zwei Männer von zwei verschiedenen Personen umgebracht werden. Also …“
„Hast du die beiden gekannt?“
„So wie man die Leute als Polizist eben kennt. Man grüßt sich und manchmal hält man sie auf, weil sie zu schnell fahren oder so. Aber kennen …“
„Wie lange bist du schon in Kitzbühel?“
„Zwei Jahre. Davor war ich in Innsbruck.“
„Und? Gefällt es dir hier?“
„Ja, schon … ich gehe gerne Ski fahren …“
„Gut. Fahr jetzt auf den Posten zurück. Wenn wir hier fertig sind, möchte ich mich mit euch allen zusammensetzen. Kannst du uns bis dahin was Essbares organisieren?“
Kern nickte, salutierte und lief zum Wagen zurück.
Schäfer schaute wieder zu den Arbeitern hinunter, die den Toten fast freigelegt hatten.
Am Himmel zogen von Westen her Regenwolken auf. Schäfer ging zu Baumgartner und fragte sie, ob sie am Betonmischer und jedem Werkzeug in der Nähe Fingerabdrücke genommen und nach Faserspuren gesucht hätten. Nachdem Baumgartner seine Frage bejaht hatte, überlegte Schäfer, ob er den Tatort dennoch mit Planen abdecken und regenfest machen lassen sollte. Nein, wozu. Natürlich könnte der eine oder andere Hinweis so verloren gehen. Aber die wichtigen Spuren waren ohnehin woanders zu finden – da war sich Schäfer jetzt schon sicher.
Als die Bestatter den Kunststoffsarg in den Leichenwagen schieben wollten, hielt Schäfer sie zurück. Er hob den Deckel und
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