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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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leise auf. So alt er war, hob ich ihn vom Boden, setzte mich auf die hölzerne Truhe und nahm ihn auf den Schoß. Vor mir flammten die in die Tischbeine eingelegten Juwelen rot auf; endlich ging die späte Sommersonne unter. Im Norden, dachte ich unerheblicherweise, im Norden der Silberstädte wäre sie schon untergegangen, und die dicht bevölkerten Straßen wimmelten von unbeschwerten Müßiggängern, die ihre Unterhaltung suchten. Gaukler, Geschichtenspieler, Schauspieler, Harfner, Zauberer. In den Silberstädten.
    Jorry wurde nun ruhiger in meinen Armen. Bald würden seine Fragen kommen, und ich würde etwas parat haben müssen, um ihm zu antworten.
    Doch ich wußte ja selbst so wenige Antworten. Wie lange würde Brant uns hier festhalten, und welche Schritte würde er unternehmen, um sich zu überzeugen, daß mein Wissen um seine Geschichtenspielkunst ihn nicht in Gefahr bringen würde?
    Mein Wissen. Ich besaß kein Wissen. Ich wußte nicht, wie und was Brant in diesem Raum getan hatte, als er die Geschichte von Jorrys Zeugung aus meinem Bewußtsein zwischen seine Fingerspitzen gezerrt hatte, noch was er getan hatte, getan haben mußte dort drunten im Großen Saal, um die Gestalt Rofdals in meine Geschichte einzuführen. Und auch nicht, warum er es getan hatte. Ich kannte nicht die Reichweite seiner Kunstfertigkeiten noch seine Absichten in diesem fernen Bergkönigreich, noch den Grund für seine Heimlichtuerei. Erdulin lag im Norden der Silberstädte, in friedlichen, fruchtbaren Gebieten, die unter einer sanften Sonne dösten. Es lag weit entfernt von Veliano. Was war der Grund für Brants Stellung hier?
    Eure Lady Gemahlin.
    Ich hielt Jorry fest und wiegte ihn im zunehmenden Zwielicht, und innerlich schmerzte mich alles vor Verwirrung und Furcht.
    »Ich habe Hunger«, ließ sich Jorry vernehmen.
    »Dann mußt du etwas essen«, sagte ich und bemühte mich, sorglos zu klingen. Aber meine Stimme brach beim letzten Wort.
    Jorry sah mich aus bekümmerten Augen an. »Mutter – ist dieser große Mann mein Vater?«
    Ich stellte ihn von meinem Schoß auf den Boden und sprach so ernsthaft und nachdrücklich, wie ich nur konnte. »Ja, Jorry, das ist er. Aber er möchte es nicht sein, also darfst du es niemandem erzählen. Verstehst du mich? Du darfst nie, nie, nie sagen, daß er das zugegeben hat oder daß du sahst, wie er eine Geschichte gespielt hat, oder daß er und ich einen Streit hatten. Das ist sehr wichtig, Jorry, das Wichtigste, das ich dir jemals in deinem ganzen Leben anvertraut habe. Sag niemals etwas zu jemandem über Lord Brant. Und wenn du es trotzdem machst…« Ich verhärtete mich, weil ich wußte, daß es um seiner Sicherheit willen notwendig war, auch wenn ich es haßte. »Wenn du es trotzdem machst, verkaufe ich dein Pony Slipper, und du wirst es niemals wiedersehen.«
    Er lief erst rot, dann weiß an, als hätte ich ihn geschlagen. Ich sah seinen Augen an, daß er mir zuerst nicht glaubte, dann aber doch und mich daraufhin für verabscheuenswürdig hielt. Ich riß mich zusammen, um fest zu bleiben, wobei mich die Erinnerung an Brants Mundlinie unterstützte.
    »Versprichst du es, Jorry?«
    »Ja!«
    »Dann halte dein Versprechen.«
    Ich schnitt ihm etwas Hackbraten, Käse und Brot ab. Einen Augenblick später kaute er schon hungrig. Ich konnte nichts essen; sogar der Wein hätte mir jetzt den Magen umgedreht.
    Eure Lady Gemahlin.
    Eine Diebin, eine Lügnerin, höchstwahrscheinlich auch eine Hure. Sobald Jorrys Hunger gestillt war, sah er mich wieder aus sorgenvollen Augen an. »Wenn dieser Lord mein… Vater ist, gehöre ich dann zu ihm? Ich hörte, wie du gesagt hast, Söhne gehörten ihren Vätern.«
    »Du gehörst zu mir, Jorry. Zu mir.«
    »Weil er nicht mein Vater sein will?«
    »Nein. Nicht deshalb. Aber weil du mein Sohn bist.«
    »Ich werde niemandem erzählen, was er gesagt hat.«
    »Ich weiß. Schließlich habe ich dein Versprechen, oder nicht?«
    »Doch. Ich will diesen Lord auch gar nicht. Kalafa ist nicht so gemein.«
    Kalafa – der Karawanenhändler, mit dem ich ins Bett gegangen war. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich daran oder an ihn wieder erinnerte. Er würde mich nicht suchen kommen, sondern annehmen, daß ich es anderswo besser getroffen hatte, würde es auf die leichte Schulter nehmen und sich ebenfalls etwas Neues suchen.
    Es wurde dunkler im Zimmer. Vor dem Fenster gingen die ersten Sterne auf, und ich sah, daß, wenn die Nacht so weit im Süden auch kurz wäre, sie

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