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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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doch strahlend werden sollte. Die Sommergestirne funkelten so hell und klar wie die Edelsteine von Veliano, ohne auch nur das geringste Weiche an sich zu haben: die harten, unsentimentalen Sterne der Berghöhen.

 
2
     
     
    Am Morgen war ich etwas ruhiger.
    Der Gedanke, daß Jorry und ich augenblicklich aus dem Palast fliehen müßten, der mich einen Großteil der Nacht wachgehalten hatte, erschien mir nun albern. Was wäre damit gewonnen? Die Handelskarawane, mit der wir nach Veliano geritten gekommen waren, würde erst in fünf Tagen wieder aufbrechen, wenn ihr gewinnträchtiger Tausch von Waren aus dem Norden gegen Steine aus Velianos Bergen abgeschlossen wäre. Es stimmte, daß Kalafa und ich einander auf wenig aufwühlende Weise liebenswert gefunden hatten, doch auch wieder nicht so sehr, daß er es auch nur in Betracht ziehen würde, abzureisen, ehe er seinen Profit erzielt hätte, oder wenn er dadurch gegen König Rofdals Wünsche handelte. Und der König wünschte, daß ich ihm heute abend meine Geschichte darbot. Auch das war ein gewichtiger Grund, an Ort und Stelle zu bleiben. Ich hatte Männer wie Rofdal schon früher erlebt – Männer, die gewohnt waren, daß man ihnen so umfassend und unverzüglich gehorchte, daß es ihnen eine kindische Unvernunft verlieh und die Bereitschaft, fair zu bleiben, bis man gegen dieses Gebot verstieß. Denn all dieser Gehorsam diente nur dazu, sie zu überzeugen, daß Ungehorsam monströs und unnatürlich war und man dagegen wüten mußte – so wie Jorry es machte, wenn ich, von der er erwartete, daß ich nur für ihn da war, seinen Willen durchkreuzte. Rofdal war ein König und damit ein Extremfall, doch ich glaubte, daß bei den meisten Männern da nur graduelle Unterschiede bestanden.
    Und Brant.
    Er nicht. Zumindest als Junge nicht – als Junge brachte es ihn nicht in Rage, wenn etwas gegen seinen Willen lief. Aber was wußte ich, was den erwachsenen Brant trieb?
    Seine Gegenwart stellte den einzigen Grund dar, nicht die vollen fünf Tage im Palast zu bleiben. Seine Anwesenheit, die – wie ich mir durchaus eingestehen muß – weh tat und seine Einmischung in die Geschichte, die ich dargeboten hatte. Warum hatte Brant die Figur des Königs ins Spiel gebracht, warum hatte er den Burschen Rofdal mit dem Schwert angreifen lassen, und warum hatten diese beiden Geschehnisse den Hof in solche Aufruhr gestürzt? »Landril« hatte der Höfling neben dem König gesagt. Wer war Landril?
    Überall, in jedem Schloß und jedem Palast, in jeder Taverne und jedem Marktzelt gibt es Intrigen um Posten und Macht, und sei es nur um den Posten des ersten Küchenmädchens oder das Vorrecht, den Wein zum Dinner zu wählen. Ich ignorierte weitgehend dieses ganze traurige Spiel, denn als Spiel erschien es mir, das ebenso zufällig und sinnlos war wie die Jungenspiele, bei denen sie einen Eber herausforderten, der kräftig genug war, sie zu entmannen, wenn sie im Kampf einen falschen Schritt unternahmen. Jorry und ich hielten uns von Jungen und Ebern gleichermaßen fern. Eine Geschichtenspielerin ist zu unbedeutend und eine viel zu harmlose und törichte Zerstreuung, einen Monat hier, den nächsten schon über alle Berge, um in irgend jemandes Spiel eine Rolle zu spielen.
    Bis gestern abend. Noch konnte ich die politische Lage leicht genug erkunden. Das erforderte nur Fragen. Jorry rührte sich auf seinem Strohlager neben dem meinen. Wir hatten am vorangegangenen Abend nicht in dem kleinen, prächtigen Zimmer bleiben dürfen, sondern man hatte uns eine Kammer neben der Küche mit Strohsäcken am Boden zugewiesen. Mir war es gleichgültig gewesen – der Raum war sauber und die Strohsäcke prall und wohlduftend –, bis ich bemerkte, daß das Zimmerfenster vergittert war. Zumindest bis morgen würde ich nirgendwohin gehen. Rofdals Befehl – oder Brants?
    Brant hatte keinen Grund, uns hierzubehalten. Wollte er mir jemals Jorry, seinen Sohn, wegnehmen, so hatte er es zumindest nicht im Augenblick vor. Niemals weiter nördlich zu ziehen als nach Frost, der südlichsten der Silberstädte, und der klägliche Trick, Jorrys Alter zu verfälschen, nichts von alledem war nun mehr notwendig. Brant hatte Jorry wie einen Bastard von einer streunenden Hündin angesehen.
    Eines Nachts vor zehn Jahren in einem Mansardenzimmer bei Mutter Arcoa, es hatte geregnet…, ich erinnerte mich lebhaft an den Regen, wie er ins offene Fenster geweht wurde und den Duft des Meeres mit sich brachte, wie ich mich in

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