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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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mir einen Blick zu und kam zu dem Schluß, uns über den Küchenmädchen und unter den Pagen einzustufen; man wies uns in eine rauchige Ecke mit einem kleinen Tisch und brachte uns dort zu essen. Es war eine gute Mahlzeit, heiß und sättigend. Rofdal oder sein Haushofmeister war nicht kleinlich mit seinen Bediensteten. Ich war nicht überrascht: Herrscher können nur die absolute Macht über den Adel ausüben, wenn sie sich gut mit ihren Untertanen halten. Diener und Bauern bilden Armeen.
    Nach dem Frühstück bat ich den Koch um etwas Wasser und vermischte es mit ein paar Prisen der Pülverchen, die ich stets bei mir trug. Ich füllte die Erste und Zweite Phiole auf. Als ich die Zweite verkorkte, fragte ich mich, welche Geschichte mein Bewußtsein heute abend hervorbrächte und ob Brant sich diesmal nicht einmischen würde. Nach dem vorangegangenen Abend mußte er begreifen, daß es mich und Jorry in Gefahr brachte, wenn er in meine Geschichte pfuschte.
    Oder hatte er genau das gewollt?
    Eine Sekunde lang blieb ich reglos stehen, ohne etwas in der geschäftigen Küche wahrzunehmen. Aber – nein. Hätte er Jorry immer noch gewollt, hätte er ihn einfach genommen. Er war ein Adliger und ich eine herumziehende Geschichtenspielerin, und Söhne, auch die illegitimen, sind Eigentum der Väter, die sie beanspruchen wollen. Ein Rachemotiv schloß ich aus. Ich wußte nicht, wie Brant sich aus dem wilden Jungen, der er gewesen war, weiterentwickelt hatte, aber nach meiner Erfahrung investierten Männer nicht viel Energie in Racheakte an früheren Geliebten. In Geldschulden oder Standesstreitigkeiten, ja. Aber nicht in alte Liebesgeschichten. Meine Flucht vor Brant, wie weh sie dem Jungen auch getan haben mochte, war keine Demütigung seines Standes. Man könnte sogar behaupten, sie hätte seinem Rang geschmeichelt. Ich hatte mich vor seinem hohen Stand gefürchtet.
    Aber all diese Grübeleien waren töricht. Ich glaubte nicht, daß Brant Jorry und mir schaden wollte, weil ich es einfach nicht glauben wollte. Das Denken hatte seine eigenen Wahrnehmungsgesetze.
    »Ich möchte zu meinem Pony«, erklärte Jorry, und es traf mich wie ein Stich ins Herz. Dachte er noch an meine Drohung vom vorangegangenen Abend?
    »Dann wollen wir mal nach deinem Pony sehen«, sagte ich. Auf der Seite, wo die Sonne in den Stallhof fiel, saß ein junges Mädchen und rupfte Hühner. Eine Weile sah ich ihr verstohlen zu. Sie bewältigte ihre Aufgabe nicht besonders geschickt, legte ein gerupftes Huhn in ihre Schüssel, in dem noch mehrere intakte Federkiele steckten, und warf einmal einen Klumpen Innereien genau neben den dafür vorgesehenen Eimer. Sie summte bei der Arbeit wortlos, aber nicht unschön immer wieder die gleichen vier oder fünf Noten vor sich hin. Nach ihren Bewegungen und ihrem Gesicht schätzte ich sie für ein bißchen einfältig ein. Aber ein einfältiger Informant ist manchmal der beste; keiner würde es merkwürdig finden, daß ich mit ihr redete, noch glauben, daß dabei etwas von Belang zur Sprache kommen könnte. Während Jorry also sein hohlrückiges Pony Slipper striegelte und bewegte, rupfte ich Hühner und erfuhr einiges über den Hof von Veliano.
    »Wann soll Königin Leonore denn niederkommen?« fragte ich das Mädchen. Sein Name, so sagte es, war Ludie.
    »Cul, noch diesen Monat. Meine Mutter und ich haben den Vier Schutzgöttern ein Opfer gelobt, wenn es ein Junge wird.«
    »Demnach wartet König Rofdal auf einen Erben?«
    Das Mädchen lachte so schallend, als hätte ich einen unwiderstehlichen Witz gerissen. »Und er versucht es schon bei der dritten Königin!«
    »Das habe ich schon gehört«, sagte ich, was der Wahrheit entsprach. »Erzähl mir von den ersten beiden Königinnen.«
    »Cul, du hast aber auch keine Ahnung! Wissen alle Harfnerinnen aus den Silberstädten so wenig?«
    Sie meinte die Frage ernst; sie konnte sich nicht vorstellen, daß es Orte gab, wo man nicht atemlos auf Neuigkeiten aus Veliano wartete. Ich schaute in ihr breites, ehrliches, unattraktives Gesicht und bemerkte sanft: »Ich weiß, daß ich nicht viel Ahnung habe.«
    »Dann sieh zu, daß sie dir keinen Strick daraus drehen!« schrie sie und machte sich daran, mit trotzigem Gesicht Federn zu rupfen. Die flogen in einer geruchsintensiven Wolke hoch in die warme Luft. »Ich lass’ mir jedenfalls keinen Strick daraus drehen, verflucht noch mal.«
    »Dann werde ich es auch nicht«, versuchte ich sie zu besänftigen. »Bestimmt nicht. Und ich

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