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Schampanninger

Titel: Schampanninger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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mal hinbekommen wird. Schwester Evi beruhigtemich. Bei Gehirnerschütterungen wie der meinen sei das nur eine Frage von Tagen. Und nach ihrer Erfahrung würden die Patienten auch nicht glücklicher, wenn die Erinnerung wieder scharf gestellt sei.
    – Das Hirn ist keine Sonnenuhr, das die heiteren …
    Ich unterbrach sie. Auch Kopfschmerzen lassen sich provozieren.
    – Aber genau das wäre doch die Chance, sagte ich. Nur die guten Gedanken werden wieder hochgefahren. Der Rest bleibt gelöscht.
    – Wenn es so einfach wäre!
    Schwester Evi stand am Fußende meines Betts und stützte ganz bequem die Unterarme auf den Holm.
    – Jetzt nehmen wir mal an, wir hätten hier eine solche Glückspille gefunden. Wie sollte ich mir dann noch Ihr Gesicht und Ihre Zimmernummer merken?
    Ich hob den Daumen. Eine solche Pointe zu zerreden wäre unsportlich gewesen. Schwester Evi erwies sich auch sonst als ausgesprochen schlagfertige Person. Dazu behielt sie recht: Mein Gedächtnis kam Stück für Stück zurück, bald war ich wieder komplett, bis auf den Tag des Unfalls.
    Julius kam täglich zu Besuch. Diesmal hatte er eine riesige Tüte Lebkuchenbruch mitgebracht. An seiner Schokoschnute war unschwer zu erkennen, dass er schon reichlich genascht hatte.
    – Bedien dich, sagte er und stellte die Tüte auf meinen Nachttisch. Und jetzt mal aufgepasst!
    Dann trat er wie schon Schwester Evi an das Fußende meines Betts, damit ich ihn in höchstmöglicher Auflösung und Breitwandformat vor Augen hatte, und entrollte ein Plakat. Hardrock im Schlachthof stand darauf zu lesen. Der Nabeleines muskulösen, von männlichem Brustfell umwölkten Bauchs lugte hinter einer knallrot lackierten Gitarre hervor. Bevor ich mich in Details verzettelte, lenkte Julius meine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche.
    – Wir haben Jimmy Page für ein Silvesterkonzert in den Schlachthof verpflichtet. Da bist du platt, was?
    Julius pinnte das Plakat mit Tesa an die Wand, sodass ich es unablässig im Blick hatte, und heftete mit einer Büroklammer ein Ticket unten an.
    – Ticket Nummer zwanzig, sagte er. Pure gold!
    Julius fischte sich einen Schokolebkuchen aus der Tüte und biss hinein.
    – Sollte eigentlich dein Weihnachtsgeschenk werden, aber ich dachte, das könntest du jetzt zur Genesung gut gebrauchen. Außerdem hätte so ein Typ wie du vorverkaufsmäßig sicher alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Jimmy Page live auf der Bühne zu erleben.
    Das normalerweise hakelige Räderwerk, das in uns für die Bereitung des inneren Friedens zuständig ist, griff bei Julius momentan so reibungslos und harmonisch ineinander, dass die Mechanik wie ein Kätzchen schnurrte. Ich war sprachlos und schwieg, und das machte ihn noch glücklicher.
    Zwischen Julius und mir war das Thema Musik vermintes Gelände. Immer wieder versuchte ich ihm die Ideen auszureden, die er ständig aufs Neue ausheckte, um seine große Leidenschaft zu einem Business zu machen. Zuletzt hatte ich ihm auf recht derbe Weise das Gitarrenspielen verleidet. Julius lebte in der Verblendung, er könne sich aus einer beruflichen Notlage durch die Wiedervereinigung der Band befreien. Aber die drei alten Herren, Onkel Tom, Henry und er, die auf einer abschüssigen Bahn nach unten polterten, hätten einenU-Turn Richtung Erfolg nie mehr hinbekommen. Tatsächlich bekam er damals ohne diese Flausen wieder Boden unter die Füße und kehrte in seinen früheren Beruf als Programmierer zurück.
    Ganz konnte er es aber doch nicht lassen. Daher frickelte er feierabends an einer Website, aus der eine Hall of Fame der Rockmusik mit Histörchen, Bestenlisten, Bildern und natürlich einem Diskussionsforum werden sollte. Über diesen Austausch fand sich eine Neigungsgruppe in München zusammen, die sich die Förderung des ehemals subkulturellen Brauchtums auf die Fahnen geschrieben hatte. An Sommerabenden trafen sie sich zu Schweinswürstel und Bier an der Isar, um die alten Exzesse wiederaufleben zu lassen, hin und wieder mieteten sie einen Saal, um Diskothek zu machen, noch öfter trafen sie sich in Kneipen. Dort starrten die Veteranen zunehmend trübsinnig ihre zu sauberen Fünferbündeln gesammelten Striche auf den Bierdeckeln an und orakelten über den Untergang der Rockmusik. Irgendeiner hatte die Parole ausgegeben, dass der junge Mensch zu keiner tief gehenden Led-Zeppelin -Rezeption mehr in der Lage war. In dessen rapversaute Ohren war kein fünfzehnminütiges Gitarrensolo geschweige denn eine ebenso lange

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