Krokodil im Nacken
Erster Teil Inseln
1. Nicht in Amerika
L enz hatte gehofft, noch vor dem Frühstück geholt zu werden. Seit dem frühen Morgen stand er neben der Tür und lauschte auf Schritte. Er hörte aber nur den Wachposten von Spion zu Spion schlendern und irgendwann auch in seine Zelle spähen. Später vernahm er das Schmatzen von Gummirädern auf Linoleumfußboden. Das Geräusch wurde lauter und lauter, leise Stimmen drangen zu ihm, und er begriff, dass der gummibereifte Wagen, der da offenbar von Zelle zu Zelle geschoben wurde, irgendetwas lieferte. War schon Frühstückszeit?
Der Wagen wurde auch vor seine Zellentür geschoben, die Klappe ging. »Schüssel«, sagte eine Stimme. Ein Gesicht war nicht zu sehen.
Lenz reichte die blaue Plastikschüssel hinaus, und vier dicke, dünn mit Marmelade bestrichene, zu Klappstullen aufeinander gepappte Brotscheiben wurden hineingeworfen.
»Becher.«
Er hielt den weißen Plastikbecher hin und erspähte einen Uniformärmel und eine Hand, die aus einer großen Kanne heißen Muckefuck in den Becher goss. Danach wurde die Klappe wieder geschlossen.
Die Brote rührte Lenz nicht an, von dem Kaffeeersatz, einer schlimm stinkenden Lorke, nahm er nur einen kleinen Schluck. In der vergeblichen Hoffnung, das heiße Getränk würde ihm gut tun. Gleich darauf lauschte er erneut.
Eine Weile war alles still, dann war wieder das Schmatzen der Gummiräder zu hören. Die Frühstücksreste wurden abgeholt.
Die Klappe ging. »Sie haben nichts gegessen?«
»Wie Sie sehen.«
Die Schüssel wurde über einem Plastikeimer ausgekippt, die Klappe geschlossen und der Wagen weitergeschoben, bis die Gummiräder nicht mehr zu hören waren. Nun war wieder alles still. Lenz lehnte sich an die mit beiger Lackfarbe gestrichene Wand und schloss die Augen. Ruhig bleiben! Vielleicht wollen sie das ja gerade, du sollst nervös werden, damit du leichter zu handhaben bist …
Doch dann wurde es plötzlich sehr laut, Schritte hallten, Riegel klirrten, Schlüssel rasselten. Lenz konnte sich nicht mehr beherrschen und begann in der Zelle auf und ab zu rennen, von der Tür zu den Glasziegelsteinen, die das Fenster ersetzten und hinter denen schemenhaft das Gitter zu erkennen war, und zurück. Acht kurze Schritte hin, acht kurze Schritte her. Die berühmten acht Schritte! Langte er an der Tür an, lauschte er jedes Mal. Näherte sich aber jemand seiner Zelle, hörte er schon bald, wie derjenige sich wieder entfernte. Andere Zellentüren wurden geöffnet.
Hatten sie ihn vergessen? Waren sie nicht neugierig auf ihn? War er ein so kleines Licht?
Als dann am späten Vormittag, auf dem Flur war längst Ruhe eingekehrt, sich mit einem Mal doch noch Stiefel seiner Tür näherten, laut krachend erst der obere und dann der untere Riegel zurückgezogen wurde und der Schlüssel ins Schloss fuhr, erschrak Lenz dermaßen, dass er bis ans Ende der Zelle zurückwich.
Es war der Schließer vom Abend zuvor, der die Zelle betrat, der nicht ganz und gar unfreundliche Feldwebel, der ihm Bettwäsche, Haftkleidung, Seife, Handtuch, Zahnpasta, Zahnbürste und das Plastikgeschirr gebracht hatte; ein Pickelgesicht mit noch sehr jungen Augen. Da er seinen Namen nicht kannte, hatte Lenz ihn wegen der vielen roten, teilweise erst frisch ausgedrückten Vulkane und Vulkänchen rund um Nase, Stirn und Kinn »Marsmann« getauft.
Der nur mittelgroße Feldwebel blickte in die Runde, als müsste er sich erst davon überzeugen, dass der Untersuchungshäftling Lenz in der zurückliegenden Nacht nichts Unschickliches angestellt hatte, dann befahl er: »Von nun an gilt: Betritt jemand von der Wachmannschaft den Verwahrraum, haben Sie sich ordnungsgemäß zu melden. Ihre Verwahrraumnummer ist die Hundertzwo, der Raum ist für zwei Häftlinge vorgesehen. Wer von der Tür aus rechts schläft, bekommt die Nummer Eins. Sie haben die linke Pritsche gewählt, also sind Sie die Nummer Hundertzwo-Zwo. Das gilt auch für die Zeit, in der Sie in Einzelhaft sind. Wird also die Tür geöffnet, treten Sie so weit wie möglich zurück, legen die Hände an die Hosennaht und melden sich mit Hundertzwo-Zwo. Haben Sie verstanden?«
Lenz nickte nur.
»Ob Sie verstanden haben?«
»Ja.«
»Wie melden Sie sich?«
»Mit Hundertzwo-Zwo.«
»Gut! Singen, Pfeifen, lautes Sprechen ist laut Verwahrraumordnung verboten. Auch dürfen Sie sich tagsüber nicht auf die Pritsche legen. Das ist erst zur Nachtruhe gestattet. Haben Sie das verstanden?«
»Ja.«
»Raustreten.«
Wie er
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