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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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Betäubung, einer sicheren Hand und stoischer Haltung könnte man es sogar selbst machen, nach Anleitung eines Lehrbuches. Ein Mann auf einem Stuhl, der an sich herumschnippelt – ein häßlicher Anblick, aber aus gewissem Blickwinkel nicht häßlicher als derselbe Mann, wie er sich auf dem Körper einer Frau betätigt.
      Aber da ist noch Soraya. Er sollte dieses Kapitel abschließen. Statt dessen bezahlt er ein Detektivbüro, um sie aufzuspüren. Innerhalb weniger Tage hat er ihren richtigen Namen, ihre Adresse, ihre Telefonnummer. Er ruft um neun Uhr morgens an, wenn Mann und Kinder erwartungsgemäß außer Haus sind. »Soraya?« sagt er.
      »Hier ist David. Wie geht's? Wann kann ich wieder zu dir kommen?«
      Langes Schweigen, bevor sie spricht. »Ich weiß nicht, wer Sie sind«, sagt sie. »Sie verfolgen mich bis in mein Haus. Ich verlange, daß Sie mich hier nie wieder anrufen, nie wieder.«
       
     
      Ich verlange. Sie meint: ich befehle. Ihre Schrillheit überrascht ihn – es hat dafür vorher keine Anzeichen gegeben.
      Aber was sollte ein Raubtier auch erwarten, wenn es in den Bau der Füchsin eindringt, in das Heim ihrer Jungen?
      Er legt auf. Ein Schatten des Neids auf den Ehemann, den er nie gesehen hat, gleitet über ihn.

  2. Kapitel
 
      Ohne die Intermezzi donnerstags ist die Woche öde wie eine Wüste. Es gibt Tage, an denen er nicht weiß, was er mit sich anfangen soll.
      Er verbringt mehr Zeit in der Universitätsbibliothek und liest alles, was er über den weiteren Kreis von Byron finden kann, und vermehrt die Notizen, die schon zwei dicke Ordner füllen. Ihm behagt die spätnachmittägliche Stille im Lesesaal, ihm behagt der Heimweg danach – die frische Winterluft, die feuchten, glänzenden Straßen.
      An einem Freitagabend ist er auf dem Heimweg, er nimmt den langen Weg durch den alten Collegepark, als er vor sich eine seiner Studentinnen sieht. Sie heißt Melanie Isaacs, aus seinem Romantik-Seminar. Nicht gerade die beste Studentin, aber auch nicht die schlechteste – recht intelligent, aber interesselos.
      Sie bummelt dahin; bald holt er sie ein. »Hallo«, sagt er.
      Sie erwidert sein Lächeln, nickt mit dem Kopf, ihr Lächeln ist eher schalkhaft als schüchtern. Sie ist klein und dünn, hat ganz kurzes schwarzes Haar, breite, fast chinesische Backenknochen, große, dunkle Augen. Ihre Kleidung fällt immer auf. Heute hat sie einen kastanienbraunen Minirock, einen senffarbenen Pullover und schwarze Strumpfhosen an; der goldfarbene Tand an ihrem Gürtel korrespondiert mit den Goldkugeln ihrer Ohrringe.
      Er ist ein wenig verknallt in sie. Das bedeutet nicht viel: es vergeht fast kein Semester, ohne daß er sich in die eine oder andere seiner Schützlinge verliebt. Kapstadt: eine Stadt, reich an Schönheit, an Schönheiten.
      Ob sie weiß, daß er ein Auge auf sie geworfen hat?
      Wahrscheinlich. Frauen sind empfänglich dafür, für die Schwere des begehrenden Blickes.
      Es hat geregnet; in den Rinnen neben dem Weg plätschert es leise.
      »Meine liebste Jahreszeit, meine liebste Tageszeit«, äußert er. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
      »Hinter der Bahnlinie. In einer Wohngemeinschaft.«
      »Sind Sie in Kapstadt zu Hause?«
      »Nein, ich bin in George aufgewachsen.«
      »Ich wohne gleich in der Nähe. Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«
      Eine Pause, vorsichtig. »Gut. Aber ich muß halb acht zurück sein.«
      Aus dem Park kommen sie nun in die ruhige Wohnsiedlung, wo er die vergangenen zwölf Jahre gelebt hat, zuerst mit Rosalind, und dann, nach der Scheidung, allein.
      Er schließt das Sicherheitsgitter auf, dann die Tür, läßt das Mädchen eintreten. Er schaltet das Licht an, nimmt ihr die Tasche ab. In ihrem Haar sind Regentropfen. Er starrt sie an, ganz offen hingerissen. Sie senkt die Augen und zeigt dasselbe ausweichende und vielleicht sogar kokette Lächeln wie zuvor schon.
      In der Küche öffnet er eine Flasche Meerlust und legt Kekse und Käse auf einen Teller. Als er zurückkommt, steht sie mit zur Seite geneigtem Kopf an den Bücherregalen und liest die Titel. Er legt Musik auf: Mozarts Klarinettenquintett. Wein, Musik – ein Ritual, dessen sich Männer und Frauen spielerisch bedienen. An Ritualen ist nichts Unrechtes, sie wurden erfunden, um die peinlichen Übergänge zu erleichtern. Aber die junge Frau, die er mit nach Hause gebracht hat, ist nicht nur dreißig Jahre jünger als er, sie ist Studentin, seine

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