Schandweib
Abelson?«
»Damit bezeichnen die Kryptoanalytiker versteckte Informationen in einer scheinbar harmlosen Nachricht. In diesem Brief hier haben wir es auf den ersten Blick mit der Bestätigung einer Verabredung zum Mittagessen zu tun. Hier steht: Verehrter Hieronymus, am Dienstag, den 7. April werde ich Dich, wie vereinbart, zur Mittagsstunde besuchen. Mit Gottes Gruß, Nikolaus. Wir haben hier also zwei Namen, ein Datum und eine Uhrzeit. Vorerst nicht mehr und nicht weniger. Darin kann aber durchaus ein Code für eine Transposition versteckt sein, also eine Regel, nach der in einem kryptographischen System Wörter oder Buchstaben verschoben werden. Betrachten wir also den zweiten Brief.« Abelson schob die vier Zeilen in die Mitte des Tisches. »Hm. Vier Zeilen, jeweils sieben Buchstaben aneinander, dann ein Abstand. Keine auffälligen Häufungen bestimmter Buchstaben, keine Wiederholungen, soweit ich es sehe. Gar keine Unregelmäßigkeiten. Da können wir nicht unbedingt auf einen Nomenklator schließen.«
»Verzeiht, Herr Abelson, aber ich kann Euch nicht folgen.«
Abelson schüttelte nachdenklich den Kopf. »Da gibt es leider auch wenig zu folgen, junger Mann. Aber ich will Euch gern in das wenige, was ich weiß, einführen. Verschlüsselte Nachrichtenbasieren häufig auf der Idee der Transposition, also der systematischen Verschiebung von Zeichen. Weil so etwas aber einem geübten Kryptoanalytiker zu schnell auffällt, da gewisse Regelmäßigkeiten wiederkehren, verschlüsselt ein geschickter Chiffrierer gern noch mit Hilfe eines Nomenklators. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Sammlung von Silben, Wörtern und Namen besonders wichtiger Ausdrücke, die in einem Geheimtextalphabet verschlüsselt sind. Der Rest des Textes ist dann einfach nur per Transposition chiffriert. Um den Nomenklator entschlüsseln zu können, muss man das Geheimalphabet kennen. Dies ist eine grundsätzlich sichere Methode, allerdings läuft man bei häufiger Benutzung in Gefahr, dass mitlesende Dritte dem Geheimalphabet auf die Schliche kommen, wenn man es nicht regelmäßig neu verabreden kann. Dafür wiederum muss man sich aber im Vertrauen austauschen können. Dennoch ist dies eine ungemein beliebte Methode der Chiffrierung, wie ich von Sir John Wallis weiß. Eine weitere Möglichkeit der Verschlüsselung bietet eine Chiffrierscheibe. Sie arbeitet auch auf der Basis der Transposition, verwürfelt also Buchstaben, Ziffern und Symbole scheinbar willkürlich.«
»Wie das?«
»Es handelt sich hier um die Erfindung eines italienischen Architekten mit Namen Leon Battista Alberti . Stellt Euch zwei Ringe vor. Auf dem äußeren Ring läuft das Alphabet in geordneter Reihenfolge, auf dem inneren jedoch in völliger Unordnung. Nun müsst Ihr lediglich bestimmen, welche Buchstaben der jeweiligen Ringe die Ausgangspunkte für die Chiffrierung sind. Schiebt sie entsprechend aufeinander, dann wisst Ihr, welcher Buchstabe in geordneter Form wie in der ungeordneten lautet. Danach schreibt Ihr dann Euren Text um. Der Vorteil ist, dass Ihr ständig die Transposition wechseln könnt, zum Beispieldadurch, dass alle fünf Buchstaben neue Ausgangspunkte festgesetzt werden. Damit sind dann keine Regelmäßigkeiten mehr zu erkennen. Jedes Schreiben lässt sich also individuell verschlüsseln, und den Code kann nur knacken, wer die Chiffrierscheibe kennt. Das bedeutet aber, dass alle, die sich auf diese Weise Nachrichten übermitteln, identische Chiffrierscheiben haben müssen. Je mehr Scheiben es gibt, desto größer ist das Risiko, dass sie entdeckt werden. Natürlich käme auch eine dritte Möglichkeit der Verschlüsselung in Frage, nämlich die Tabula Recta des Trithemius . Aber damit will ich Euch jetzt verschonen, Prokurator. Ihr sollt nur sehen, dass es viele Möglichkeiten gibt, Nachrichten zu chiffrieren. Man braucht einfach ein besonderes Gespür, um den Schlüssel zu erahnen.«
Wrangel versuchte, all die Informationen, die Abelson ihm zugeworfen hatte, zu ordnen. Aber tatsächlich war die kryptische Verschachtelung von Zeichen nichts, was ihn irgendwie ansprach. Es erschien ihm als eine Welt für sich, weit weg von den juristischen Fragen, die ihn normalerweise beschäftigten.
»Was Ihr da erläutert, Herr Abelson, lässt doch auf eine Unzahl von Möglichkeiten schließen, für die man eine kleine Ewigkeit bräuchte, wollte man sie alle durchprobieren, vorausgesetzt, man wüsste überhaupt, wo man anfangen sollte.«
»Darum sagte ich
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