Schandweib
Woche.«
»Gut, in einer Woche.«
Donnerstag, 16. Dezember 1701
58
R uth nippte vorsichtig an ihrer Tasse Tee, die ihr Margarete Claussen eingeschenkt hatte. Die beiden Frauen hatten sich nach dem Abendessen in einen kleinen Salon zurückgezogen, um ungestört vom Tabakrauch der Männer zu plaudern.
»Ruth, du siehst ein bisschen blass um die Nase aus. Macht dir die finstre Jahreszeit zu schaffen, oder quälen gar trübe Gedanken deinen hübschen Kopf?«
Margarete Claussen lächelte der jungen Frau aufmunternd zu. Sie hatte Ruth, die sie schon seit deren frühen Kindertagen kannte, fest ins Herz geschlossen. Seit dem Tod von Ruths Mutter aber fühlte sie sich auch in gewisser Weise für die Halbwaise verantwortlich. Schließlich gab es im Abelson’schen Haushalt keine Frau mehr, die Ruth auf dem mühsamen Weg des Erwachsenwerdens zur Seite stehen konnte. Die Claussens hatten selbst keine Kinder, der Herr hatte sie nicht mit dieser Gnade bedacht, umso mehr kümmerte sich Margarete Claussen um andere Menschen, die weiblicher Fürsorge bedurften. Ihr Neffe Matthias zählte genauso dazu wie Syndikus Lorenz, der vor einiger Zeit zum Witwer geworden war.
»Weniger die Jahreszeit ist es, liebe Frau Claussen, als die Worte des verehrten Syndikus Lorenz, die mir nahegehen.«
»Du meinst seine Ausführungen über den Mordfall, in dem in der nächsten Woche das Urteil gesprochen werden soll?«
»Genau die. Während meiner Fahrt nach Wandsbek hatte ich Gelegenheit, mit Prokurator Wrangel über diesen Fall zu sprechen und so einiges über die Frau zu erfahren, die verurteilt werden soll.«
»Das Mannweib, meinst du? Dieses Geschöpf, über das die Leute die schauerlichsten Dinge zu erzählen wissen? Über diesen Schandpfuhl unserer Gesellschaft solltest du dir nicht deinen Kopf zerbrechen, mein Kind. Ein verbrecherisches, ja ein teuflisches Geschöpf ist es, das es verdient, für seine Schandtaten gemäß dem Gesetz verurteilt zu werden.«
Ruth schluckte und schlug die Augen nieder. »Verzeiht, Frau Claussen, aber nach all dem, was ich über diese Frau gehört habe, kann ich Eure Meinung nicht teilen.«
Margarete Claussen schaute verwundert auf Ruth, die an ihrer Schürze nestelte.
»Vielleicht wisst Ihr nicht, dass der Prokurator Wrangel gute Beweise dafür hat, dass die Frau nichts mit dem Mord, den man ihr vorhält, zu tun hat.«
»Aber Kind, du hast es doch eben selbst von Syndikus Lorenz gehört: Das Schandweib hat den Mord gestanden!«
»Nein, gestanden hat die Frau lediglich, dass sie daran beteiligt war. Und auch das ist sehr zweifelhaft, bedenkt man die Umstände ihres Geständnisses.«
»Was meinst du damit?«
»Nun, sie hat die Taten, die man ihr vorhielt, unter schwerster Tortur gestanden.«
»Ruth«, unterbrach Margarete Claussen die junge Frau, »über solche Gräuel sollte ein Mädchen wie du noch nicht einmal im Entferntesten nachdenken. Vielmehr solltest du deine Seele miterbaulichen und schönen Dingen erheitern. Nur dadurch kann sich deine Weiblichkeit zu vollem Glanz entfalten. Du stehst an der Schwelle des ehelichen Lebens, mein Kind, sofern ich deinen Vater letztens richtig verstand«, sie warf Ruth ein verschmitztes Zwinkern zu, »und da gilt es, sich auf die neuen, großen Aufgaben, die auf dich warten, vorzubereiten.«
Ruth spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Darf ich offen mit Euch sprechen, Frau Claussen?«
»Selbstverständlich, Ruth, verstehe mich bitte als deine mütterliche Freundin, der du dich ohne Angst anvertrauen kannst.«
»Um ehrlich zu sein, plagen mich große Zweifel wegen des Wunsches meines Vaters, mich möglichst bald zu verheiraten.«
Margarete Claussen griff nach ihrer Teetasse, um sich einen Moment Bedenkzeit für ihre Antwort zu erlauben. »Das ist nichts Ungewöhnliches, liebe Ruth. Der Schritt zur Ehefrau ist ein großer im Leben einer Frau. Nur der zur Mutter mag noch gewaltiger sein, doch ist mir leider versagt, dies persönlich zu beurteilen.« Mit einem leichten Räuspern stellte sie die Teetasse zurück auf den kleinen Tisch.
»Wisst Ihr, ich fühle keine Wärme für den Mann, den mein Vater für mich als Ehemann im Sinne hat. Von Liebe ganz zu schweigen.«
»Es ist nicht selten, dass die Liebe zwischen Eheleuten Zeit braucht, um zu wachsen. So wie ein Kind Zeit braucht, um zur Frau zu erblühen. Das weibliche Wesen will gehegt und gepflegt werden, liebe Ruth. Wird es vernachlässigt, gelangt es nie zur vollen Blüte und kann dem Weibe
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