Schatten eines Gottes (German Edition)
gnostisches Gedankengut und wurde von der Kirche als Häresie verworfen.«
»Dann hat man mir etwas Falsches zugetragen. Ich bitte um Vergebung.«
Stefano nahm seine Laute wieder an sich und schlug einen Akkord an. »Ich weiß ein Lied über König Richard im heiligen Land.«
»Lass hören.«
»Wollt so gütig sein und vom Pferd herabsteigen? Mich blendet die Sonne, wenn ich zu Euch hinaufschauen muss.«
Octavien stutzte über diese dreiste Bitte, doch dann lächelte er. »Ihr seid ein Erzschelm. Aber Ihr gefallt mir.«
Er stieg ab und setzte sich auf die Brunnenumfassung, wobei er ganz vergaß, vorher den Staub abzuwischen. Stefano nahm ihm gegenüber Platz, schlug die Beine übereinander und sang:
»Im ewigen Jerusalem auf einem goldnen Throne,
Da saß der Feldherr Saladin, den Kreuzrittern zum Hohne.
Im fernen England Richard saß, der tät’ sich wahrlich grämen.
Meint, alle Christen müssten sich in Grund und Boden schämen.
Er nahm das Kreuz und fuhr im Zorn nach Palästinas Küsten;
Den Spieß voran, denn so macht man aus Muslims gute Christen.
Die Sonne sticht, die Sonne brennt, nur trockner Staub und Steine;
Im Zelt der Feldherr Saladin, der nippt vom kühlen Weine.
Der König schwankt im Kettenhemd, der Helm beginnt zu drücken.
Der Durst, der quält ihn fürchterlich, dazu kommen die Mücken.
Da kam der Feldherr Saladin aus seinem Zelt geschritten:
›Heil König Richard, kommt herein, ihr habt genug gelitten!‹
Er reicht dem König Dattelwein in einem goldnen Becher;
Und statt zu kämpfen tranken sie, die beiden kühnen Zecher.
Der Christ und auch der Muselmann, die haben sich besoffen,
Und die Geschichte, liebe Leut’, die blieb wie immer offen.«
Octavien lachte schallend. »Dafür hast du dir noch einen Silberpfennig verdient. Du hättest gestern bei uns im Gasthaus singen sollen, dann hätten wir bestimmt einen lustigen Abend verbracht.«
Stefano ließ die Laute sinken. »Aber das kann man doch nachholen. Ich verdiene mir immer gern etwas dazu. Wo seid Ihr denn abgestiegen?«
»Das war in Bodenheim. ›Zum Hirschen‹.«
Stefano nickte. »Ein sehr gut geführtes Haus, ich kenne es.«
»Wirst du dort aufspielen?«
Stefano neigte den Kopf zur Seite. »Wer weiß? Ich lasse mich vom Schicksal treiben, und vielleicht treibt es mich auch einmal ›Zum Hirschen‹.«
»Der Wirt ist kein Knauser, die Portionen dort sind reichlich. Leider ist er ein wenig abergläubisch, aber wer ist das nicht? Wir alle tragen irgendwo einen Talisman mit uns herum, nicht wahr?«
Stefano zeigte seine prachtvollen weißen Zähne. »Oh ja, es ist gefährlich, auf den Straßen herumzuziehen. Ich habe gleich ein ganzes Dutzend davon, um für alle Fälle gerüstet zu sein.«
»Hm, sag mir, Bursche, du kommst doch weit herum, hast du etwas von dämonischen Umtrieben in dieser Gegend gehört?«
Stefano rieb sich das Auge, bevor er bedächtig antwortete: »Das habe ich in der Tat. Die Leute reden darüber. Ein Dämon soll umgehen, so als habe sich Herr Luzifer persönlich aus der Hölle erhoben. Er soll es auf Geistliche abgesehen haben. Aber ich für meinen Teil glaube nicht an Dämonen.«
»So. Dann ist also etwas dran an der Geschichte. Nun, das ist eine Sache der örtlichen Gerichtsbarkeit. Man wird ihn sicher bald fassen. Ich nehme an, es handelt sich um einen geistig Verwirrten.«
»Was sonst?«
Octavien rutschte vom Brunnenrand und gab Stefano eine Silbermünze. Dann bestieg er sein Tier, nickte Stefano noch einmal zu und ritt fort.
***
Am Rheinufer, wo sich die Schiffer und Händler, Bauern und Handwerker in kleinen Schenken trafen, hatten Lukrezia und Sibylla ihre Netze ausgelegt, um einige Exemplare aus dem Schwarm einzufangen.
Ein hochgewachsener, schlanker Mönch geriet jetzt in das Blickfeld der Dirnen. Bekleidet war er mit dem weißen Habit und schwarzen Skapulier der Zisterzienser. Zielstrebig, die Hände in den Ärmeln verborgen, marschierte er den Weg herauf. Seine Blicke schweiften neugierig umher, was ihn als Stadtfremden auswies.
Sibylla, im Besitze eines fülligen Busens und eines üppigen Hinterteils, hatte ihn sofort bemerkt und sich mit kühnem Hüftschwung von der Hafenmauer abgestoßen. Dabei war sie so ungestüm gewesen, dass sie zweifellos mit dem Mönch zusammengeprallt wäre, hätte nicht die grobe Hand Lukrezias sie zurückgerissen.
»Ein Zisterzienser!«, zischte ihre Freundin ihr in den Nacken, und es hörte sich so giftig an, als hätte sie Eisenhut verschlungen.
»Na und?
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