Der Tanz des Maori (epub)
N EUSEELAND , S ÃDINSEL , 1995
1.
Sein dunkles Gesicht war nass, die Augen weit aufgerissen. Er trommelte sich auf seine Brust, schrie und stampfte dazu auf den Boden. Die schwarzen Haare lagen in feuchten Locken um sein Gesicht, während ihm der Regen ins Gesicht peitschte. Er brüllte etwas Unverständliches. Es klang wie eine Kampfansage. Aus den dunklen Wolken schüttete es, ein Blitz zuckte über den Himmel, während der Mann im hohen Gras drohend zwei Schritte in ihre Richtung machte â¦
Sina schreckte hoch und starrte in die Dunkelheit. Regen prasselte gegen die Zeltplane, in der Ferne grollte ein Donner. Neben ihr atmete Katharina tief und ruhig. Ihr Gesicht, umrahmt von dunklem Haar, war in der schwachen Beleuchtung nur ein heller Fleck. Benommen schüttelte Sina den Kopf. Sie hatte nur einen üblen Traum gehabt, kein Grund, sich aufzuregen. Das hier war der lang ersehnte Traumurlaub in Neuseeland. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Katharina wanderte sie durch ein märchenhaftes Tal im Schatten der Farnbäume an dem kleinen Fluss Mohikinui entlang. Trotzdem: Der Eindruck aus dem lebhaften Traum lieà sich so schnell nicht vertreiben. Immer noch sah sie das dunkle Gesicht des wütenden Mannes vor sich.
Ein weiteres Donnern, diesmal lauter, lieà sie zusammenzucken. Direkt danach schien der Regen noch heftiger zu werden. Sina seufzte leise. Hier an der Westküste änderte sich das Wetter ständig, und leider regnete es viel zu häufig für ihren Geschmack. Sie konnte sich jetzt nicht einmal vor dem Zelt einen Tee zur Beruhigung machen â so wie sich das Prasseln anhörte, war man im Freien innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnässt.
Woher kam nur dieser Traum, der sie seit ihrer Ankunft vor zwei Wochen in Neuseeland quälte? Immer wieder wachte sie auf, immer an der gleichen Stelle â wenn der geheimnisvolle Mann im Regen drohend auf sie zukam.
Sie sah erneut zu Katharina hinüber, die immer noch selig schlief. Von dieser Reise hatten sie geträumt, seitdem sie sich im ersten Semester an der Universität kennengelernt hatten. Sie erinnerte sich noch gut an den Moment, als sie nebeneinander in der Schlange an der Mensa standen und Katharina nachdenklich die bräunliche Masse auf ihrem Teller betrachtet hatte. »Billig und sättigend. Was will ich mehr?«, hatte sie gemurmelt.
»Geschmack wäre kein Fehler«, war damals Sinas Antwort gewesen. Wenig später saÃen sie gemeinsam mit ihrem »Rahmgulasch« an einem der langen Tische und hatten sich über die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung und den Kampf um einen Platz in einem Seminar unterhalten. Es dauerte nicht lange und sie wussten, dass sie einen gemeinsamen Traum hatten: Einmal im Leben für ein paar Monate nach Neuseeland! Sina hatte diesen Traum, seit sie in einem Bildband ein paar Fotos von klaren Fjorden und verwunschenen Buchten gesehen hatte. Ihr war damals so, als ob diese Landschaft sie rufen würde, wie ein vertrautes, aber vergessenes Haus. Katharinas Gründe waren simpler. Sie wanderte für ihr Leben gern, die Trecks, die kreuz und quer über die beiden Pazifikinseln führten, bedeuteten für Katharina das Paradies.
Es vergingen ein paar Jahre, bis sie es endlich geschafft hatten: Drei Monate lang wollten sie hierbleiben, mitten im deutschen Winter genossen sie das Land ihrer Träume ⦠Und ausgerechnet jetzt wurden ihre Träume von einem immer wiederkehrenden Albtraum begleitet. Dabei hatte sie noch nie Probleme mit Ãngsten und Träumen gehabt. Eher im Gegenteil: Ihre Mutter hatte sie immer lachend »meine nüchterne Tochter« genannt â und sie hatte sich mit ihrem Medizinstudium ganz bewusst für eine Naturwissenschaft entschieden. In der Medizin ging es um Fakten, Zahlen und Formeln â nicht um Philosophien und Meinungen. Ihre Freundin Katharina war da ganz anders: Sie studierte Politik und Soziologie und konnte sich stundenlang über irgendwelche Gesellschaftstheorien auslassen.
Ein Blitz erhellte das Zelt, Bruchteile von Sekunden später beendete ein lauter Donnerschlag sogar Katharinas legendär festen Schlaf. Mit einem Schreckenslaut richtete sie sich auf.
»Was war das denn?«
Sina zuckte mit den Schultern â eine überflüssige Bewegung, in dem Zelt konnte man nur Schemen erkennen.
»Ein Unwetter an der Westküste. Hat man uns davor nicht
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