Schatten über Sanssouci
sein. Musik für
einen König, der die Musik liebte, selbst die Flöte spielte und sogar
komponierte. Wenn auch ziemlich stümperhaft.
Und der deswegen auf
Quantz’ Hilfe angewiesen war.
Quantz hatte
Friedrich zu einem ordentlichen Flötisten gemacht, und er war verantwortlich
für die Musik, die in den königlichen Kammerkonzerten erklang. Und wenn Seiner
Majestät eine Idee für ein Musikstück kam, war Quantz es, der sie ausarbeitete
und dem König so zur Freude an künstlerischem Schaffen verhalf.
Welch ein Glück,
dass Seine Majestät anders als andere Monarchen wenig Sinn für kompliziertes
Hofzeremoniell besaß. Dass er die Jagd – eigentlich das typische Vergnügen des
männlichen Adels – hasste. Dass er stattdessen den schönen Künsten zugetan war
und Quantz brauchte. Auch wenn Quantz nicht mehr der Jüngste war und er die
meisten anderen Hofmusiker – den jungen Bach, Graun, Benda – ein bis zwei
Jahrzehnte an Lebenszeit übertraf.
Er wollte gerade den
Schrank öffnen, um sich wenigstens am Anblick seiner Werke zu ergötzen, da
hörte er ein Geräusch. Ein leises Trommeln klang vom Fenster her.
Quantz übersetzte es
sofort in einen Rhythmus. Vier Sechzehntel und ein Viertel. Gar keine schlechte
Idee. Daraus konnte man etwas machen. Es klang kokett, grazil. Ein schönes
geschnörkeltes Motiv.
Er wandte sich um.
Hinter der
Fensterscheibe schälte sich etwas aus der Dunkelheit. Eine weiße Hand mit
langen Fingern. Ein Gesicht.
Quantz’ Herz setzte
vor Schreck einen Moment aus. Dann erkannte er Andreas, den stummen Lakai. Er
musste wieder einmal an einem der Bäume emporgeklettert sein. An einer der
Linden, die entlang des Kanals wuchsen und deren Krone seitlich in die Fassade
des Gebäudes ragte …
Andreas’ längliche
Züge mit den traurigen dunklen Augen verzogen sich, als er pantomimisch eine
Flöte an den Mund führte und mit der linken Hand eine Bewegung machte, als
würde er darauf spielen. Mit der anderen hielt er sich am Baum fest.
»Kerl, willst du dir
den Hals brechen?«, rief Quantz, als er das Fenster geöffnet hatte. Der Lakai
kletterte mühsam herein. Seine helle Livree war verschmutzt, die Perücke, die
schief auf seinem Kopf saß, war auch nicht mehr ganz weiß.
In letzter Zeit hatte
er Quantz öfter besucht, allerdings tagsüber, wenn Andreas Botengänge
erledigte. Es war ein Rätsel, wie er zu dieser Stunde überhaupt in die Stadt
gekommen war. Bei Einbruch der Dunkelheit wurden die Stadttore geschlossen.
Sanssouci, wo Andreas seinen Dienst versah, lag außerhalb von Potsdam.
Aber dieser Mensch
war eben merkwürdig. Niemand hatte ihn je sprechen hören. Doch im Dienst galt
er als mustergültig. Er tat alles, was man von ihm verlangte, mit großer
Genauigkeit.
»Was willst du
hier?«
Andreas blickte ihm
nicht in die Augen und bewegte sich seltsam schlaksig durch den Raum.
Unruhe erfasste
Quantz. Er konnte den Jungen nicht gebrauchen. Er musste arbeiten. Außerdem
hatte Andreas nicht hier, sondern bei seinem Dienst oder in der Dienerkammer zu
sein.
»Du bist von einem
Gang in die Stadt nicht ins Schloss zurückgekehrt«, stellte Quantz fest. »Du
willst doch nicht etwa hier übernachten?«
Andreas verzog den
Mund, schwieg aber, wie es seine Art war. Man konnte ihm ansehen, dass er sehr
gut verstand, was man ihm sagte. Er lief unschlüssig in der Stube herum und
blieb schließlich vor dem Pult stehen.
Im ersten Impuls
wollte Quantz ihn zurückpfeifen, doch dann besann er sich darauf, dass in
Andreas kleine Wunder steckten. Man musste ihm nur Zeit geben, sich in eine
Sache hineinzufinden, und ihm gelangen die seltsamsten Dinge. Bei seinem
letzten Besuch hatte er in unglaublicher Geschwindigkeit Sophies Restgeld
gezählt, nachdem sie vom Markt zurückgekommen war. Kaum hatte er die Münzen in
die Hand genommen, da hatten seine Finger die richtige Summe auf den Tisch
gemalt.
Ein andermal hatte
er es sogar geschafft, Quantz beim Komponieren zu helfen. Es war nicht
herauszufinden, wie er darauf gekommen war, aber er hatte begriffen, dass man
aus zufälligen Kombinationen von Noten die schönsten Melodien erfinden konnte.
Quantz war diese
seltsame Fähigkeit klar geworden, als Andreas ein Stück Notenpapier in die
Finger bekam, auf dem noch etwas Platz war und das Sophie eigentlich zum
Feuermachen in die Kiste neben den Ofen gelegt hatte.
Wie besessen hatte
Andreas vier, fünf Töne in immer anderer Reihenfolge aufgeschrieben, seine
Arbeit auffordernd hingehalten, bis
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