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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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KAPITEL EINS
    8.55   Uhr
     
    « W en haben wir denn da!», rief Marla Simms und sah Sara über den Rand ihrer Brille prüfend an. Die Sekretärin der Polizeiwache hielt eine Zeitschrift in den arthritischen Händen, die sie jetzt sinken ließ, um Sara wissen zu lassen, dass sie reichlich Zeit für einen Plausch hatte.
    Sara versuchte fröhlich zu klingen, obwohl sie ihren Besuch extra auf Marlas Pause gelegt hatte. «Morgen, Marla.»
    Marla sah sie durchdringend an und zog die Mundwinkel noch weiter runter als sonst. Sara versuchte, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Marla Simms hatte die Kinder in der Sonntagsschule unterrichtet, seit die Baptistenkirche ihre Pforten geöffnet hatte, und sie schaffte es immer noch, jedem Kind der Stadt, das nach 1952 geboren war, mit einem einzigen Blick Gottesfurcht einzuflößen.
    Sie musterte Sara unerbittlich. «Dich habe ich ja lange nicht mehr hier gesehen.»
    «Hm.» Sara versuchte, über Marlas Kopf hinweg in Jeffreys Büro zu spähen. Die Tür stand offen, doch er saßnicht an seinem Schreibtisch. Der Mannschaftsraum war leer, wahrscheinlich war Jeffrey hinten. Im Grunde konnte sie einfach am Anmeldungstresen vorbeimarschieren und selbst nach ihm suchen – wie sie es schon hunderte Male zuvor getan hatte   –, doch irgendetwas hielt Sara davon ab, die unsichtbare Grenze zu passieren, ohne den Wegezoll zu entrichten.
    Marla verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. «Schöner Tag heute», sagte sie.
    Sara blickte hinaus auf die Main Street, wo der Asphalt in der Hitze flimmerte. Die Luft war so feucht, dass ihr der Schweiß aus allen Poren drang. «Ja, wirklich schön.»
    «Du hast dich aber hübsch gemacht», fuhr Marla mit einem Blick auf das Leinenkleid fort, das Sara ausgesucht hatte, nachdem sie all ihre Kleider aus dem Schrank gerissen hatte. «Gibt es einen Anlass?»
    «Ach, nichts Besonderes», log Sara. Unwillkürlich nestelte sie an ihrer Tasche herum und wippte auf den Füßen, als wäre sie vier und nicht fast vierzig.
    Die ältere Frau sah sie triumphierend an. Sie ließ Sara noch ein bisschen zappeln, bevor sie fragte: «Wie geht’s deiner Mutter?»
    «Gut», antwortete Sara und versuchte leutselig zu klingen. Sie war nicht so naiv zu glauben, ihr Privatleben ginge niemanden etwas an – in einem Nest wie Heartsdale konnte man kaum niesen, ohne dass ein Nachbar anrief und freundlich «Gesundheit» wünschte. Doch Sara würde Marla auch nicht alles auf die Nase binden.
    «Und deiner Schwester?»
    Bevor Sara antworten konnte, kam ihr Brad Stephens zu Hilfe, der über die Schwelle der Eingangstür stolperte. Der junge Streifenpolizist konnte gerade noch verhindern,dass er der Länge nach zu Boden fiel, doch der Schwung riss ihm die Mütze vom Kopf. Sie segelte Sara vor die Füße. Brads Holster und Gummiknüppel baumelten rechts und links an seiner Hüfte wie ein Paar zusätzliche Gliedmaßen. Hinter ihm prustete eine Schar vorpubertärer Kinder beim Anblick seines uneleganten Auftritts.
    «Hoppla», sagte Brad und blickte von Sara zu den Kindern und wieder zurück. Dann hob er seine Mütze auf und klopfte sie mit übertriebener Sorgfalt ab. Sara fragte sich, vor wem er sich mehr schämte: vor der Hand voll Zehnjähriger, die über seine Tollpatschigkeit lachten, oder vor seiner ehemalige Kinderärztin, die offensichtlich ihr Grinsen unterdrücken musste.
    Anscheinend war das Letztere schlimmer. Er wandte sich wieder an seine Gruppe und versuchte, sich mit sonorer Stimme Respekt zu verschaffen. «Wir befinden uns hier auf der Polizeiwache, wo wir unsere Arbeit machen. Also, die Polizeiarbeit. Und, äh, das hier ist die Eingangshalle.» Er sah Sara an. Den Vorraum, in dem sie sich befanden, als Eingangshalle zu bezeichnen, war ein wenig übertrieben. Er war keine zehn Quadratmeter groß mit einer Betonwand direkt gegenüber der gläsernen Eingangstür. An der Wand rechts von Sara hingen die Fotos aller Einheiten der Grant County Police. Den Ehrenplatz nahm ein großes Porträt von Mac Anders ein, dem einzigen Polizeibeamten, der je im Einsatz getötet worden war.
    Gegenüber der Fotogalerie wachte Marla hinter einem hohen, hellbraunen Resopaltresen, der den Besucherbereich vom Mannschaftsraum trennte. Sie war keine kleine Frau, doch mit dem Alter hatte sich ihr Körper zu einem Fragezeichen gekrümmt. Die Brille hing ihr auf der Nasenspitze, sodass es Sara, die selbst eine Lesebrille brauchte,immer reizte, sie ihr wieder nach oben zu

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