Schattengeschichten
Mal gehört haben? Erinnern Sie sich überhaupt an Felix vor diesem Tag? Ich meine konkret und nicht als schwammige Erinnerung.“
Zu Marius’ Entsetzen musste er alle Fragen verneinen. Aber was sollte das schon bedeuten?
„Und wenn Sie an Erika denken. Ist da nicht dieses vertraute Gefühl ihres Körpers, dieses wehmütige Erinnern an Jahre einer gut geführten Beziehung?“
Die Kapelle spielte ein langes Medley. Keiner der Gäste verließ die Tanzfläche. Der glückliche Abend hatte gerade erst begonnen.
„Verdammt, was soll das?“
Harald legte Marius beide Hände auf seine Schultern.
„Wie ich es Ihnen schon sagte: Felix hat Ihr Schicksal geklaut.“
„Wie soll das denn gehen?“
„Oh, das ist eine ganz komplizierte Angelegenheit. Der Einfachheit halber vergleichen wir es doch am besten mit einem Kaufhaus, in dem man sich einfach sein gewünschtes Schicksal aussuchen kann.“
Marius schüttelte den Kopf und die Hände Haralds von sich.
„Du gehörst in die Klapse, Mann“, sagte er und floh nach draußen um dort eine zu rauchen. So unwahrscheinlich, abwegig alles klang, was Harald sagte, trotz allem machte es Sinn. Marius konnte sich in der Tat nicht an Felix vor der Hochzeit erinnern, an nichts um genau zu sein. Und ja, wenn er seine Augen schloss und an Erika dachte, dann kam es ihm so vor, als wäre er mit ihr zusammen. Aber das war sein Wunschdenken, schon seit Jahren. Jedenfalls war ein Schicksalstausch schwachsinnige Phantasterei.
Was Harald allerdings geschafft hatte, war, dass die Heirat Erikas ihm noch mehr weh tat, als sie es ohnehin schon getan hatte.
„Vielen Dank, du Arschloch“, nuschelte er vor sich hin in die kalte, klare Abendluft und sog tief an seiner Zigarette. Am liebsten wäre er einfach nach Hause gefahren, hätte den gemieteten Anzug ausgezogen und sich vor den Fernseher gesetzt, mit einer profanen Flasche Bier. Er wusste gar nicht, warum Erika ihn überhaupt eingeladen hatte. Sie wusste doch, dass er sie liebte? Oder? Hatte er mit ihr darüber gesprochen? Hatten sie überhaupt mal etwas unternommen? Und wenn ja, was? Seit wann kannten sie sich nochmal? Seit der Schulzeit? Wann hatte sie ihm von der bevorstehenden Hochzeit erzählt? Und wann und wie hatte sie ihn eingeladen? Wie sah die Einladung aus? Gab es eine Karte? Wieso schien alles so unecht, sobald er sich Fragen stellte? Wo würde er morgen nochmal arbeiten gehen? Hatte er überhaupt eine Arbeitsstelle oder gehörte er zu den zigtausenden Arbeitslosen Deutschlands?
Marius schnippte seine Zigarette auf den Steinweg, der vom Parkplatz zum Clubhaus führte, in dem die Hochzeit gefeiert wurde. Dann machte er kehrt, ging zurück in den Festsaal, direkt zu Harald, der sich gerade mit Erikas Cousine unterhielt, Stefanie. Er lächelte, als er Marius auf sich zukommen sah.
„Hey, Harald“, sagte er, „Kann ich mit dir sprechen?“
„Sicher.“ Er stand auf und sie gingen an die Seite. Stefanie verfolgte sie argwöhnisch mit Blicken, stand aber nicht auf um ihnen hinterher zu gehen.
„Ich kann mich an nichts erinnern, Harald.“
„Du meinst an dein eigenes Leben oder Vergangenes mit anderen?“
„Genau. Woher weißt du das alles?“
Harald schüttelte den Kopf.
„Das spielt jetzt keine Rolle. Das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Du hast aber nicht soviel. Ab morgen gibt es keine Möglichkeit mehr etwas zu verändern. Du musst es heute Nacht tun, um dein Schicksal wiederzubekommen.“
„Was tun?“
„Ihn töten.“
„Was?!“
„Felix töten. Das ist die einzige Chance dein Schicksal wiederzukriegen. Glaube mir, Marius. So ist es leider. Und so schlimm diese Möglichkeit klingt, sie ist und bleibt die einzige.“
„Felix... töten...?“ stotterte Marius, „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
„Du willst doch dein Leben wieder haben, oder? Er hat es sich gewaltsam an sich genommen, jetzt musst du es zurück holen.“
„Aber er hat mich doch nicht umgebracht.“
„Du bist auch nicht der Dieb. Marius, wie gesagt, ich kann dir jetzt nicht alle deine Fragen beantworten. Das würde viel zu lange dauern. Aber du musst mir einfach glauben: Felix zu töten ist die einzige Chance. Also, machst du’s?“
„Aber dann bin ich ein Mörder.“
„Nur in dieser Variante, aber wenn du ihn tötest kehrst du in dein richtiges Schicksal zurück. Dort hast du den Bräutigam gar nicht getötet. Da bist du selbst der Bräutigam.“
„Was würdest du denn machen?“
„Ich würde den Schweinehund
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