Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
uns allen hier zuteil geworden ist, und das wäre ein großer Verlust, denkt Ihr nicht auch?«
»Ein Spiel«, murmelte Seregil. »Oder ein komplizierter Tanz.«
»Wenn Euch das besser gefällt. Das ist es, was die Existenz von Leuten wie uns ausmacht, Seregil. Was sollten wir schon anfangen, wenn das Leben immer einfach wäre?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Seregil, wobei seine Gedanken ein weiteres Mal zu Ilar und den Schwierigkeiten eines längst vergangenen Sommers zurückwanderten. »Ich hatte nie Gelegenheit, es herauszufinden.«
»Ihr fragt Euch, ob ich etwas mit diesem verräterischen Chyptaulos zu tun habe«, stellte Ulan fest, und Seregil war nicht mehr sicher, ob dieser Mann nicht womöglich doch imstande war, Gedanken zu lesen und überdies die Kühnheit besaß, es auch zu tun.
»Ja«, erwiderte er leise, und fragte sich gleichzeitig, was er tun sollte, wenn Ulan tatsächlich eine Beteiligung eingestand.
Der Khirnari blickte auf den See hinaus. »Dieses Spiel war nicht auf meine Unterstützung angewiesen, das versichere ich Euch.«
»Aber Ihr wusstet davon, nicht wahr? Ihr hättet es verhindern können.«
Ulan blickte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Hättet Ihr an meiner Stelle so gehandelt?«
Seregil fühlte den Blick des Mannes auf sich ruhen, beinahe, als könnte er bis in seine Seele schauen und die Wahrheit erkennen, die dort verborgen war. In diesem Augenblick traf ihn die niederschmetternde Erkenntnis, dass Ulans Macht keineswegs auf einer so schäbigen Sache wie Gedankenleserei fußte.
»Nein«, gestand er, und das anerkennende Lächeln des Khirnari bohrte sich wie ein Eissplitter in sein Herz. »Ich werde mit Korathan sprechen.«
Als Seregil davonging, hatte er das unangenehme Gefühl, dass Ulan ihn beobachtete, möglicherweise sogar hämisch, und der Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut über den Leib. Als er sich aber verstohlen umblickte, sah er, wie der alte Mann in langsamen, anmutigen Kreisen über die glatte Wasseroberfläche des Sees wandelte.
57
Nachspiel
Korathan und der Iia’sidra brauchten ganze zwei Tage, um sich zu einigen. Dann schließlich fanden sich die Elf unter dem abnehmenden Mond an der Schale Auras ein, um ihre Stimmen abzugeben.
Um den Steinkreis hatten sich unzählige Zuschauer eingefunden, unter ihnen Seregil, der mit gemischten Gefühlen zusah, wie die Khirnari, einer nach dem anderen, ihre Stimmtafel in die Schale warfen. Als sie fertig waren, sortierte Brythir die schwarzen Steine aus den weißen heraus und hielt sie in der geschlossenen Faust in die Höhe. Seine brüchige alte Stimme trug nicht weit, doch seine Worte wurden von einem Zuschauer zum anderen durch die Menge weitergetragen. »Acht Weiße. Acht Weiße. Gedre ist offen.«
Jubelrufe erklangen aus der skalanischen Delegation.
Aber nur für vierzig verheißungsvolle Mondzyklen, dachte Seregil, während er zusah, wie Ulan í Sathil Riagil gratulierte. Virésse würde ebenfalls offen bleiben.
Ein langsamer Wechsel ist das Beste, so hatte Ulan gesagt. Für die Faie waren drei Jahre gewiss kein langer Zeitraum, aber in dieser kurzen Spanne würde Skala den Krieg entweder verloren oder gewonnen haben. Sollte Skala siegen, so könnten die Skalaner und die Gedre sich auf die vorangegangene Erfahrung stützen, um für permanente Handelsbeziehungen einzutreten.
Wie die Dinge nun standen, wurde den Skalanern lediglich gestattet, eine kleine Handelskolonie in Gedre zu errichten, der Zugang zum Landesinneren blieb ihnen verboten. Aurënen würde keine Truppen bereitstellen, aber gleichzeitig stand es jedem, der dumm genug war, sich den Skalanern anzuschließen, frei, seiner Wege zu ziehen.
»Das ist immerhin ein Anfang«, brüllte Alec im Lärm des allgemeinen Trubels. »Endlich können wir nach Hause gehen!«
Seregil bedachte ihn mit einem verunglückten Lächeln. »Pack deine Sachen nur nicht zu schnell.«
In der für Aurënen typischen Manier brauchten die Faie noch beinahe einen Monat, um die Details der Vereinbarung auszuarbeiten. Das Frühjahr wich einem warmen Sommer, und viele der Faie, die gekommen waren, um den Verhandlungen beizuwohnen, kehrten nach Hause zurück und ließen die Stadt noch verlassener, noch verwunschener zurück.
Gegen Ende brannte die Sonne tagelang von einem wolkenlosen Himmel herab und dörrte das Gras in den Straßen aus, bis es braun und kraftlos am Boden lag, während überall widerstandsfähige Wildrosen und Sommerblumen im Überfluss
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