Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Straßen und Wege vor und fragte sich, wie sehr der Krieg sie verändert haben mochte.
Völlig in Gedanken versunken, zuckte er erschrocken zusammen, als sich eine Hand an der Reling über die seine legte.
»Sieht friedlich aus, nicht wahr?«, sagte Alec und unterdrückte ein Gähnen. »Was meinst du, ob es für uns noch etwas zu tun gibt?«
Seregil erinnerte sich an seine letzte Unterhaltung mit Korathan. »Ich denke, wir werden schon etwas finden.«
Sie hatten ihre Ankunft nicht angekündigt, also war niemand auf den Docks, um sie in Empfang zu nehmen. Kaum waren ihre Pferde an Land geführt worden, machten sie sich auf den Weg in die Radstraße.
Die Unterstadt sah kaum verändert aus, immer noch dasselbe Labyrinth aus Lagerhäusern, verwinkelten Gassen und heruntergekommenen Wohnhäusern. Dann aber sahen sie, dass ganze Häuserblocks am Ufer dem Erdboden gleich gemacht worden waren, um Platz zu schaffen für neue Lagerhäuser und Viehhöfe. Überall waren Soldaten unterwegs.
Auf dem Ufermarkt in der Oberstadt herrschte bereits reges Treiben, doch an den Ständen gab es weit weniger Waren als früher.
Am wenigsten hatte sich das reiche Adelsviertel verändert. Diener, beladen mit Marktkörben, gingen auf den Straßen ihren morgendlichen Pflichten nach, und die Äste reich tragender Bäume hingen mit ihrer Last sommerlicher Früchte verlockend tief über die mit glasierten Fliesen geschmückten Mauern der Villengärten hinaus. Hunde und frei herumlaufende Schweine jagten sich gegenseitig über die Straßen, und aus einem offenen Fenster erscholl das Gelächter eines Kindes.
Die Radstraße lag am Rand dieses Viertels und wurde von bescheideneren Häusern und Geschäften gesäumt. Seregil blieb gegenüber dem Haus, das er seit mehr als zwei Jahrzehnten als sein Zuhause bezeichnete, stehen. Das Mosaik über der Tür war gepflegt wie immer, die steinerne Treppe ordentlich gefegt und gewischt. Hier konnte er nur Lord Seregil sein. Die Katze von Rhíminee hauste an einem anderen Ort.
»Wir könnten einfach das Gerücht in Umlauf setzen, Lord Seregil und Sir Alec würden auf See vermisst«, murmelte er.
Alec lachte, ehe er die Straße überquerte und die Stufen hinaufschritt. Seufzend folgte ihm Seregil.
Wie lange er auch fort geblieben war, in diesem Haus hatte das noch nie einen Unterschied gemacht. Ob es nun drei Wochen oder drei Jahre waren, der alte Runcer sorgte stets dafür, dass er das Haus unverändert und gepflegt, für seine Rückkehr vorbereitet, vorfand.
Die Tür war so früh am Morgen noch verschlossen, also klopften sie an. Nach wenigen Augenblicken öffnete ein ihnen unbekannter junger Mann. Sein Gesicht kam Seregil vage vertraut vor.
»Was wünscht Ihr?«, fragte er, während er ihre von der Reise schmutzstarrende Kleidung mit offensichtlichem Misstrauen musterte.
Seregil taxierte ihn kurz, ehe er sagte: »Ich muss Sir Alec sprechen. Es eilt.«
»Er ist nicht hier.«
»Nun, wo ist er dann?«, verlangte Alec zu erfahren.
»Er und Lord Seregil sind im Auftrag der Königin unterwegs, aber Ihr könnt ihm eine Nachricht hinterlassen, wenn Ihr es wünscht.«
»Das wünsche ich in der Tat«, erklärte Seregil. »Die Botschaft lautet, dass Lord Seregil und Sir Alec zurück sind. Und jetzt aus dem Weg mit dir, wer immer du bist. Wo ist Runcer?«
»Ich bin Runcer.«
»Runcer, der Jüngere, vielleicht. Wo ist der alte Runcer?«
»Mein Großvater ist vor zwei Monaten gestorben«, entgegnete der junge Mann, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Und was Eure Identität betrifft, so benötige ich mehr als nur Euer Wort.«
In diesem Augenblick schob sich ein riesiger weißer Hund an dem Mann vorbei, stürzte sich auf Seregil und leckte ihm, wild mit dem Schwanz wedelnd, das Gesicht ab.
»Märag ist mein Zeuge«, sagte Seregil lachend, schob den Hund von sich und kraulte ihn hinter den Ohren.
Am Ende mussten sie dennoch den Koch herbeirufen, um ihre Identität nachzuweisen. Der junge Runcer entschuldigte sich überschwänglich, und Seregil belohnte seine Vorsicht mit einem Goldsester.
Bald darauf überließ Seregil Alec den Vortritt in dem kleinen Baderaum im Obergeschoss und wandelte wie sein eigener Geist durch das Haus. Die üppigen Holztäfelungen erschienen ihm nach der nüchternen Architektur Sarikalis beinahe protzig, und so fühlte er sich in seinem in aurënfaiischem Stil gehaltenen Schlafgemach weit mehr zu Hause. Als er die Tür auf der anderen Seite des Korridors öffnete,
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